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Jun 20th, 2013
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  1. Es sind 32 Grad, Ferienbeginn, ZEIT ONLINE ruft zum ganz ganz großen Sandburgen-Hype auf (siehe Infokasten unten). Und außerdem hat Sand- oder auch Strandburgbauen Geschichte. Jenes harmlose Treiben von Alltagssorgen entlasteter Menschen erweist sich bei näherer Hinsicht als Verhalten von vielfältiger sozialgeschichtlicher Aussagekraft und erstaunlichem Symbolgehalt. So steht es schon im 1995 erschienenen Standardwerk: Die Strandburg: Ein versandetes Freizeitvergnügen. Und weiter: "Der Drang zum Burgenbauen muss als Äußerungsform einer typisch deutschen Mentalität angesehen werden."
  2.  
  3. Aber erst die Hunderte Meter lange Schlange vor den Toren des größten Strandbades Europas. Das Ehepaar vor ihnen erzählt, sie hätten vor mehr als 40 Jahren die letzte Burg zusammen gebaut und im Strandbad sei das eigentlich verboten, weil die Leute früher ihr Strand-Terrain mit immer größeren Burgwallen umzäunt hätten. Ich ahne, wird alles nicht leicht.
  4.  
  5. 9:44 Uhr. Im Wasser schwimmen Algen, sieht dreckig aus. Auf dem 1,2 Kilometer langen Strand liegen Tausende Berliner und zwei halbe Sandburgen. Ich brauche Hilfe. Ich renne auf den einzigen langen Steg, immer weiter Richtung großer Turm, am Für-Unbefugte-Verboten-Schild vorbei. Ein starker Mann, Brüste wie Honigmelonen, kommt mir entgegen. Er stoppt mich:
  6.  
  7. Haben Sie schon eine attraktive Sandburg gesehen? Darf man die hier überhaupt bauen?
  8.  
  9. - Klar doch. Aber vor dem nächsten Tag machen wir die alle wieder platt, Verletzungsgefahr. Verlassen Sie bitte den Steg.
  10.  
  11. Ich bahne mir den Weg zurück zum Eingangs- und Verwaltungsgebäude. Die Länge der Schlange vor der Kasse hat sich verdoppelt.
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  13. Um fünf vor zwölf kommt dann auch noch die Bild-Zeitung. Eine junge attraktive Frau in Sommerkleid und Sommerhut und ein elegant sportlicher Fotograf. Sie gehen an der Schlange vorbei, verlangen am Eingang Herrn Ott und werden reingelassen.
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  15. Weshalb sie vordrängeln, frage ich die beiden.
  16. Na weil wir hier arbeiten, sagt der Fotograf.
  17. Worüber sie denn berichten?, frage ich die beiden.
  18. Der Fotograf schaut böse. Ich muss etwas falsch gemacht haben. Er sagt, lies morgen die Zeitung. Dann laufen auch sie weg.
  19. Ich kann nicht mehr, brauche Hilfe. Ich fahre in die Stadt, in die Redaktion zu meinen Kollegen. Sie sagen, ich soll zurück.
  20.  
  21. Am Nachmittag. Der Strand ist komplett von Menschen, Handtüchern, Luftmatratzen, Buddelsachen, Pommes, Zigaretten und Bällen bedeckt. An manchen Stellen sieht man noch Sand. Ich suche weiter, laufe vom Strandanfang bis zum Ende des FKK-Bereichs. Was ich finde, will ich dokumentieren.
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  23. Burg eins ist eher ein Berg, eine Enttäuschung, aber ich habe inzwischen Sonnenbrand und mich arrangiert. Burg zwei hat wenigstens einen Stock auf dem Dach, nicht schlecht. Und Burg drei überrascht mit einer Dinosaurier-Spitze. Etwa 46 Minuten habe ihr Sohn dafür gebraucht, sagt seine Mutter mit erhobener Brust. Burg vier sieht schon fast aus wie eine Schlossanlage.
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  25. Ich atme durch, und dann im FKK-Bereich, wo die Menschen nur halb so eng nebeneinander liegen, beginne ich vor Freude zu lachen. "Die Sandburg stirbt nie aus", sagt Claudi. Das Matschedraufpacken mache besonderen Spaß. Sie hat zusammen mit Paul die höchste Burg des Wannseestrandes gebaut. Immer, wenn sie am Strand sind, bauen sie was.
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  27. Sie wirkt befreit und lebensfroh. Jetzt brauche ich wirklich den Oberbademeister. Ich sage Claudi, wie lebensfroh ZEIT ONLINE ist und suche Herrn Ott ein zweites Mal.
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  29. Herr Ott lässt mich kurz in seinem Büro warten. Das Strandbad schließt bald. Auf seinem durchgeschwitzten T-Shirt steht "eintauchen" geschrieben. Er hatte heute viel Stress, aber er lacht. "Auf einer Skala von eins bis zehn war der heutige Tag eine 9,5", sagt er. Die 10 gab es nur vor dem Mauerfall, als die Menschen an heißen Tagen noch nicht auf Brandenburgs Seen ausweichen konnten. Heute waren knapp 10.000 Besucher da.
  30.  
  31. Ich sage, mir kam es etwas eng vor.
  32. Er lacht: "Ja, Spaß ist das dann nicht mehr."
  33. Ich frage nach den Sandburgen.
  34. Er lacht: "Klar, wo Sand ist, wird gebaut."
  35. Ich frage nach.
  36. Er lacht: "In den Siebzigern waren Künstler hier, die haben ganz große Kunst gemacht. Und heute stehen da unten bestimmt 100 Sandburgen.
  37. Ich sage, ich habe nur weniger als zehn entdeckt.
  38. Er lacht: "Da haben Sie bestimmt was übersehen. Kommen Sie einfach noch mal wieder."
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