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Sep 7th, 2024
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  2. www.freitag.de
  3. Ines Schwerdtner: „Das BSW setzt nicht auf Aufklärung, sondern auf Verdummung“
  4. Sebastian Friedrich
  5. 12 - 15 minutes
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  7. der Freitag: Frau Schwerdtner, Sie kandidieren für den Parteivorsitz der Linken. Neben Ihnen bewirbt sich bislang auch Jan van Aken für diesen Posten. Was möchten Sie anders machen als Martin Schirdewan und Janine Wissler, die sich nun zurückziehen?
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  9. Ines Schwerdtner: Janine und Martin haben die Partei in der schwersten Krise und durch eine Abspaltung geführt. Dafür gebührt ihnen großer Respekt. Für mich ist es entscheidend, dass wir auf dem Bundesparteitag im Oktober in Halle als geschlossenes Team auftreten und unsere politische Kultur innerhalb der Partei grundlegend verändern. Wir müssen aufhören, uns gegenseitig zu bekämpfen.
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  11. Das ist leicht gesagt bei einer Partei, die sich programmatisch nicht ganz einig ist, oder?
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  13. Wir müssen uns den schwierigen gesellschaftlichen Konfliktfragen stellen und unsere Positionen dazu auf dem Bundesparteitag klären.
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  15. In der Linken gibt es sowohl Befürworter als auch Gegner von Waffenlieferungen an die Ukraine. Ist hier überhaupt eine Klärung möglich?
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  17. Ich gehe sehr davon aus, dass sich unsere Position gegen Waffenlieferungen nicht ändern wird.
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  19. Welche wäre das genau?
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  21. Wir sagen sehr eindeutig, dass mehr Waffen keinen Frieden schaffen. Ich werde mich in jedem Fall weiterhin dafür stark machen, dass Waffenlieferungen oder Eskalationen wie die Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in Deutschland der falsche Weg sind. Die Linke muss sich aber über diese Frage hinaus stärker dafür einsetzen, dass die Bundesregierung Friedensverhandlungen unterstützt und Völkerrechtsbrüche konsequent ahndet. Wir sollten den Fokus mehr auf diese Aspekte legen, ebenso wie gegen die Militarisierung der Gesellschaft, etwa durch die Einführung der Wehrpflicht oder die Erhöhung der Militärbudgets.
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  23. Wurde die Frage von Krieg und Frieden in den vergangenen Jahren von der Linken zu wenig beachtet?
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  25. Es gab Beschlüsse, aber diese wurden nicht immer von allen mitgetragen. In Zukunft erwarte ich, dass gemeinsam getroffene Entscheidungen auch gemeinsam nach außen vertreten werden. Wir müssen uns nicht dafür schämen, dass wir uns für das Völkerrecht und eine friedliche Gesellschaft einsetzen.
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  27. Wie könnten aktuell diplomatische Wege im Ukraine-Krieg beschritten werden?
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  29. Wir gehen vom Grundsatz aus: Lieber hundert Stunden verhandeln als eine Minute schießen. Bereits bestehende diplomatische Initiativen aus Brasilien, der Afrikanischen Union, China und Indien wurden hierzulande zu wenig beachtet. Wir tragen da als deutsche Linke eine Verantwortung, die Bundesregierung zu stellen und mit internationalen Bündnispartnern Druck auszuüben.
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  31. Das fordert auch das Bündnis Sahra Wagenknecht, und das nach ersten Umfragen durchaus erfolgreich. Ist da überhaupt noch Platz für die Linke?
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  33. Das BSW liefert sehr einfache Antworten auf komplexe Fragestellungen.
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  35. Zum Beispiel?
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  37. Wenn man sich den Haushaltsstreit der Ampelregierung und die Vorschläge von Sahra Wagenknecht ansieht, sieht man das sehr genau. Wagenknecht sagte etwa, dieser Haushalt „verbrennt für Krieg, unkontrollierte Migration und Heizgesetz Steuergeld in nie dagewesenem Ausmaß“. Warum sollten wir bei den Schwächsten, also denen, die aus Kriegsgebieten flüchten, sparen, anstatt eine Vermögenssteuer zu fordern oder die Schuldenbremse zu reformieren? Das sind doch die großen Stellschrauben, um die es geht.
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  39. Aber sind Formulierungen einfacher Antworten auf komplexe Themen nicht Kernaufgabe der Politik?
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  41. Natürlich ist es erlaubt, zuzuspitzen – das könnten wir selbst öfter tun. Aber dahinter müssen realistische und umsetzbare Konzepte stecken. Politik ist mehr als ein Wahlplakat. Das mag kurzfristig für einige Wahlen funktionieren, aber ich bin überzeugt, dass die einfachen Antworten des BSW langfristig scheitern werden. Sie fordern abstrakt Frieden, machen aber nicht klar, wie diplomatische Lösungen konkret aussehen sollen. Das BSW wird früher oder später große Enttäuschungen hervorrufen, wenn sie in mögliche Koalitionsverhandlungen eintreten, Kompromisse eingehen oder konkrete Politik machen müssen. Ich befürchte, dass das BSW letztlich dem Kampf gegen Rechts einen Bärendienst erweisen wird und die AfD langfristig stärkt, weil sich die vom BSW Enttäuschten dann nach rechts orientieren könnten.
  42.  
  43. Aber was unterscheidet die Linke inhaltlich vom BSW?
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  45. Das BSW spricht nicht gezielt die arbeitenden Menschen an, sondern ist eine verkappte Mittelstandspartei, die von großen Geldgebern und bekannten Persönlichkeiten lebt. Mit einer sozialistischen Massenpartei, wie ich sie mir vorstelle, hat das nichts zu tun. Das BSW setzt nicht auf Aufklärung der Menschen, sondern auf Verdummung. Wer auf die Bezahlkarte setzt, statt die Kommunen zu entlasten, arbeitet an den Problemen vorbei. Und es grenzt schon fast an Wählertäuschung, überall mit Sahra Wagenknecht zu plakatieren, obwohl sie nicht für das jeweilige Parlament antritt. An Haustüren musste ich schon vielen Leuten erklären, dass Frau Wagenknecht weder im Europaparlament sitzt, noch im thüringischen Landtag sitzen wird. Solch ein Wahlkampf ist kein Dienst an der Demokratie.
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  47. Ein zentraler parteiinterner Streitpunkt in der Auseinandersetzung um Sahra Wagenknecht war die Migrationspolitik. Aktuell wird das Thema wieder stark diskutiert, ähnlich wie 2015. Von der Linken ist nach der Abspaltung des BSW jedoch wenig zu hören. Ist das ein Fehler?
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  49. Es gab durchaus Bemühungen, beispielsweise die Arbeit an einem linken Einwanderungsgesetz. Daran sollten wir wieder anknüpfen, ohne unsere Grundsätze aufzugeben. Wir stehen für die Einhaltung der Menschenrechte und die Schaffung sicherer Fluchtwege. Gleichzeitig müssen wir die Ursachen massenhafter Flucht stärker thematisieren und anprangern, dass Menschen hier unterschiedlich behandelt werden. Wir werden niemanden im Stich lassen, wie es andere Parteien tun. Dennoch brauchen wir realistische Einschätzungen und Konzepte für die Integration und den Umgang mit den Herausforderungen, denen Kommunen und Städte gegenüberstehen. Nicht die Migration ist die Mutter aller Probleme, wie Horst Seehofer einst behauptete, sondern die finanzielle Austrocknung der Kommunen.
  50.  
  51. Und wie will die Linke dafür sorgen, dass die Kommunen wieder zu mehr Geld kommen?
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  53. Die Schuldenbremse und die schreiende Vermögensungleichheit hatte ich bereits angesprochen. Genau darunter trocknen die Kommunen aus, die öffentlichen Investitionen sind viel zu niedrig. Dieses Korsett, das insbesondere die FDP dem ganzen Land auferlegt, ist für niemanden mehr nachvollziehbar.
  54.  
  55. Das erwähnte die Linke bereits des öfteren, und dennoch erhielt Ihre Partei bei der Bundestagswahl 2017 noch 9,2 Prozent der Stimmen, liegt aktuell aber nur bei etwa drei Prozent in Umfragen. Woran liegt das?
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  57. Das Tragische ist, dass wir in alle Richtungen Stimmen verloren haben – sowohl an andere Parteien als auch an Nichtwähler und Menschen, die politisch frustriert sind. Kurzfristig müssen wir versuchen, alle, die einmal ihr Kreuz bei uns gemacht haben, wieder anzusprechen. Langfristig möchte ich das Vertrauen derjenigen zurückgewinnen, die einst das Kernklientel der Linken bildeten: jene, die am stärksten von den Krisen betroffen sind.
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  59. Warum erreicht die Linke diese Menschen immer schlechter?
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  61. Wir haben uns stark akademisiert und zunehmend die Mittelschicht angesprochen. Das bedeutet nicht, dass wir sie nicht ansprechen sollten, aber wir dürfen nicht vergessen, dass viele Menschen sich vor allem um ihre nächste Miete oder Gasrechnung sorgen. Das sind unsere Leute. Auf sie und ihre Themen sollten wir uns fokussieren und uns nicht von jedem Stöckchen, das uns Konservative hinhalten, ablenken lassen.
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  63. Das ist in der Vergangenheit nicht immer gelungen? Wir sollten Kulturkämpfe führen, wo es wirklich zählt. Also rechte Angriffe auf den CSD in Bautzen oder Leipzig etwa, wo wir ohne Wenn und Aber für Gleichheit einstehen und sie verteidigen. Wir müssen aber nicht jede dümmliche konservative Forderung nach Sprachregelungen kommentieren. Kulturkampf hat in den letzten Jahren sehr häufig den Klassenkampf ersetzt, überall in der Gesellschaft. Sie wird von der herrschenden Politik gern eingesetzt, um von wirklichen Problemen abzulenken. Wir sollten den Spieß wieder umdrehen, dafür muss man aber selbst Themen wie Wohnen und Gesundheit konsequent ins Zentrum stellen.
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  65. Die Linke steht mit dem Problem nicht allein da. Auch in anderen Staaten haben Prekäre, Arbeiterinnen und Arbeiter linken Parteien den Rücken gekehrt. Deshalb geht es nicht nur um eine Personalentscheidung, sondern um eine grundsätzliche strategische Ausrichtung. Ein Blick ins Ausland kann uns dabei helfen. Die Partei der Arbeit in Belgien ist beispielsweise gut in Betrieben verankert. Das erfordert harte Arbeit und geht weit über Streiksolidarität hinaus.
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  67. Zum Beispiel?
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  69. Etwa durch Betriebsgruppen, in denen wir als Partei stärker verankert und sichtbar sind. Darüber können wir wiederum Menschen, die aus den Betrieben kommen, in die Partei holen und in Verantwortung bringen. Dadurch verändert sich die Partei und wird auch wieder attraktiv für Arbeiterinnen und Arbeiter.
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  71. Ein weiteres internationales Beispiel für eine erfolgreiche Linke ist die KPÖ in Österreich. Inwiefern könnte das auch für die Erneuerung der Linken ein Orientierungspunkt sein?
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  73. Das Modell der Sozialsprechstunden finde ich richtig, und auch die Linke verfolgt es bereits. Wir haben nach diesem Vorbild „Die Linke hilft“ gegründet, eine Arbeitsgemeinschaft in der Partei für diejenigen, die seit Jahren Beratungen anbieten oder es tun wollen. Auch würde ich, ähnlich wie die KPÖ, eine Begrenzung der Mandatsgehälter auf ein Durchschnittseinkommen bei mir selbst einführen. Es gibt viele gute Ansätze in der Partei, wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Wir müssen uns verstärkt darauf konzentrieren, dass es ein wesentlicher Teil unserer Arbeit ist, vor Ort bei den Menschen und ihren Alltagssorgen präsent zu sein.
  74.  
  75. Die Linke hat nicht nur unter Prekären und Arbeitern, sondern auch stark unter Ostdeutschen an Zustimmung verloren. Dort ist jetzt die AfD stärkste Kraft. Wie erklären Sie sich diese Verschiebung?
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  77. Eine unsoziale Politik, neoliberale Schocktherapien, die Angst vor Arbeitslosigkeit und allgemeine Frustration mit dem politischen System haben den Aufstieg der Rechten begünstigt. Ich kenne das Gefühl aus meiner Familie, die sich wie Millionen andere über den Tisch gezogen fühlen. Die Zurücksetzung bei Löhnen, Vermögen und Mitspracherechten ist ja real. Dem müssen wir soziale Politik und Ermächtigung entgegensetzen. Das ist das Einzige, was im Osten wirklich helfen kann.
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  79. Mit Ihrem Fokus auf Arbeiterinnen, Prekäre und Ostdeutsche stehen Sie teilweise im Gegensatz zu jenen in Ihrer Partei, die eher auf die großen Städte wie Berlin, Bremen und Hamburg setzen, wo die Linke noch relativ stark ist.
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  81. Natürlich müssen wir unsere Hochburgen halten, darunter auch Städte wie Leipzig. Gleichzeitig müssen wir die Partei in der Fläche stärken, denn eine Strategie, die sich nur auf Großstädte verlässt, wird bundesweit kaum über fünf Prozent kommen.
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  83. Das gilt auch für den Osten. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR leben heute knapp 14 Millionen Menschen – etwa vier Millionen weniger als in Nordrhein-Westfalen. Eine Linke, die sich vor allem auf den Osten konzentriert, wird kaum in den Bundestag einziehen.
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  85. Wenn wir die Themen ansprechen, die die Menschen im Osten bewegen, dann sind das keine reinen Ostthemen. Ängste vor Arbeitslosigkeit, vor Deindustrialisierung und vor der nächsten Heizkostenabrechnung beschäftigen auch Menschen in Bremen oder Nordrhein-Westfalen. Aber wir waren einmal eine Volkspartei im Osten, und das möchte ich nicht einfach aufgeben. Gleichzeitig brauchen wir natürlich eine langfristige Strategie, um flächendeckend im Westen Fuß zu fassen.
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  87. Sie sind erst vor einem Jahr in die Partei eingetreten und wollen jetzt schon Vorsitzende werden. Wie gut kennen Sie die Partei, die Sie bald führen wollen?
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  89. Ich kenne die Partei seit ich 17 Jahre alt bin, damals kam ich durch Gesine Lötzsch auf einer antifaschistischen Jugendreise mit der neu gegründeten Linken in Kontakt. Seitdem habe ich jeden Parteitag verfolgt und bin näher an ihr dran, als manchen lieb war. Letztlich bin ich als Sozialistin in eine sozialistische Partei eingetreten, um sie zu bewahren. Das ist auch das Leitmotiv für die Kandidatur. Vielleicht kann frischer Wind abseits der üblichen Karrierewege nicht schaden.
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  91. Sind Sie in der Partei genügend verankert, um die Partei aus der Krise zu führen?
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  93. Im letzten Jahr habe ich intensiv mit so vielen Kreisverbänden gearbeitet, dass ich mir das zutraue. Die Basis muss wieder zur Sprache kommen. Deshalb geht es ja nicht nur um den Vorsitz, sondern eine andere politische Kultur, die Erfahrung schätzt und einen frischen Wahlkampf ermöglicht.
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  95. Kurzfristig kämpfen Sie um den Wiedereinzug in den Bundestag. Ist das eine Alles-oder-Nichts-Wahl für die Linke?
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  97. Ich werde alles tun, um den Wiedereinzug in den Bundestag zu schaffen. Aber darüber hinaus geht es um den langfristigen Parteiaufbau. Entscheidend ist für mich, wo wir in fünf bis zehn Jahren stehen werden.
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