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Apr 25th, 2018
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  1. Im Rahmen des "7 Tage sind nicht genug" Wissenschafts-Festivals hat die Giordano Bruno Stiftung Karlsruhe einen Rundgang auf dem Campus Nord des KIT angeboten. Was die Gäste dabei beschauen konnten entzieht sich häufig der Presse, kann sich aber ruhig sehen lassen.
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  5. Die Führung hatte den Titel "Führung zum KATRIN-Experiment", am eigentlichen KATRIN-Experiment wurde aber der kürzeste Teil des Tages verbracht. KATRIN ist ein Experiment, mit dem die Wissenschaftler am KIT die Masse des Neutrinos messen wollen. Die gemessenen Größen liegen hier bei 18.000 Elektronenvolt. Der Unterschied, der die Forschungsfrage beantworten soll beträgt 3 Elektronenvolt. Für die nicht in Teilchenphysik Bewanderten brachte Dr. Hans-Jürgen Goebelbecker einen anschaulichen Vergleich: "Stellen Sie sich vor, man lege ein Haar auf das Empire State Building und wolle messen, um wieviel größer das Gebäude geworden ist." Die Techniker die mit dem Bau des Messgeräts beauftragt wurden haben gesagt das sei nicht möglich, haben es dann aber trotzdem gemacht.
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  7. Den größten Teil des Apparates nimmt eine riesige Vakuumkammer, ein sogenannter Drahtkondensator, ein. Die Reise dieser Kammer war bereits ein Pressespektakel für sich. Hergestellt wurde diese Kammer in einer speziellen Reinraumschweißerei in Deggendorf, 130km nordöstlich von München. Das scheint nah genug an Karlsruhe um es schnell zu transportieren. Doch die vielen Tunnel zwischen Deggendorf und Karlsruhe sind zu klein für die Kammer, den Großteil der Reise müsste man per Helikopter überfliegen. Also blieb die Wasserroute. Von Deggendorf ging es die Donau hinab ins Schwarze Meer, durch das Mittelmeer, an Gibraltar vorbei, durch den Ärmelkanal, die Nordsee, den Rhein Hinauf und schließlich nach Karlsruhe an das damalige Forschungszentrum Karlsruhe, dort wartete das Gebäude bereits mit offenem Dach, der Rest wurde dann drumrum gebaut.
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  10. Der Drahtkondensator der KATRIN-Anlage bei der Ortsdurchfahrt durch Leopoldshafen.
  11. Das Interessanteste an dem Experiment ist jedoch nicht die riesige Vakuumkammer oder ihre Reise, sondern, dass sie zu einer Seite hin offen ist. Das Vakuum hat also an einer Seite keine Wand. Auch das erklärten die Ingenieure für unmöglich, bevor sie es dann gebaut haben. An einem Ende der Kondensatorkammer befindet sich das Messgerät, am gegenüberliegenden ein Langes Rohr mit einer Tritiumquelle. Tritium ist sehr schwerer Wasserstoff, der schnell zerfällt. Die Energie, die bei diesem Zerfall frei wird, soll gemessen werden. damit keine Wasserstoffatome an das Messgerät kommen und die Messungen verfälschen, befindet sich ein Superkühler in dem Rohr, der den Wasserstoff ausfriert, etwas, was bei nur wenigen Grad Celsius über dem absoluten Nullpunkt möglich ist.
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  13. Diese ganzen Anstrengungen alles nur um eines Festzustellen: wiegt das Neutrino etwas und wenn ja, wieviel? Eine Frage die seit der theoretischen Beschreibung des Neutrino's durch Enrico Fermi immer noch im Raum steht. Wissenschaftler aus aller Welt schauen nun nach Karlsruhe ähnlich wie sie vor einigen Jahren nach CERN geschaut haben, als der Large Hadron Collider die Frage nach der Existenz des Higgs-Bosons beantworten sollte.
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  15. An anderer Stelle des Campus Nord steht das SCC, das Steinbruch Center of Computing. Unter Studierendes des KIT bekannt als der Ort wo man sich die Skripte zu den Vorlesungen ausdruckt, wird im Gebäude am Campus Nord ein wesentlich wichtigerer Dienst für Wissenschaftler angeboten: Rechenzentren zur Simulation, Auswertung und Speicherung der enormen Datenmengen ihrer Experimente, unter dem Namen "GridKa". Weltweit vergleicht sich GridKa mit 12 anderen Rechenzentren mit ähnlichen Kapazitäten in sowohl Datenspeicherung als auch -verarbeitung und unter diesen rühmt es sich an den vorderen
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  19. Stellen was Konnektivität nach außen angeht. GridKa protzt auch mit 28.000 Jobslots, also parallel laufenden Prozessen, 27 Petabyte Festplattenspeicher und 42 Petabyte Magnetbandspeicher (das sind tausend Terabyte pro Petabyte) .
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  22. Nur einer der vielen vielen Schränke die das Rechenzentrum ausmacht.
  23. Im Inneren ist das Rechenrenzentrum nicht gerade beeindruckend für den allgemeinen Besucher, lediglich jede Menge graue Schränke voller Kabel und konstantes Dröhnen von Lüftungen, aber wie der stellvertretender Abteilungsleiter des GridKa Andreas Petzold die Sachen hinter den Kulissen erklärt, verleiht einen guten Einblick in die enormen Anstrengungen und Fähigkeiten, die dieses Mammutprojekt im Dienste der Wissenschaft am Laufen halten. Darunter auch etwas das wie drei große Kleiderschränke nebeneinander aussieht, nur so tief wie ein Auto: der 42 PB Magnetbandspeicher mit 8 automatisierten Robotern, die Bänder raussuchen, verstauen und ordnen. Die Apparatur sieht beeindruckend aus, wenn man durch das Lochgitter späht. Man sieht einen Gang zu eng für Mensch und Roboter gleichzeitig, die schienen auf denen die Roboter hin und her sausen und überwiegend leere Steckplätze für die Magnetbänder. Welch unglaubliche Menge an Daten in diesen Schränken Platz finden kann entzieht sich dem intuiven menschlichen Verständnis von Mengen und Zahlen.
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  26. Der Roboter im Bandspeicherschrank
  27. Das letzte Prachtstück in der Ausstellung des Campus Nord war der Ursprung, der Grund warum das Forschungszentrum gegründet wurde und wieso Karlsruhe in der deutschen Technik- und Wissenschaftslandschaft so hoch steht: FR-2, der Forschungsreaktor 2, der erste allein von Deutschen gebaute Nuklearreaktor.  Dr. Hans-Jürgen Goebelbecker, selbst einst am FR-2 beschäftigt, öffnet die alte Schaltwarte des FR-2. Die Luft steht und man sieht hunderte von Knöpfchen, Lampen, Schaltern, Anzeigen, Messinstrumenten. Alles steht still und schweigt. Man darf alle Knöpfe drücken, das gefährlichste was noch reagiert ist der Lichtschalter. Einst die Vorfront der Nuklearforschung in ganz Deutschland, nun eine tote Fassade, Streichelzoo für Wissenschaftsbegeisterte Kinder.
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  29. Wie ein Zentralgestirn haben sich enorm viele andere Projekte erst um den FR-2 herum gebildet. Der Reaktor wurde als Quelle für schwere Isotope und Strahlung genutzt, nicht unähnlich wie Teilchenbeschleuniger heute eingesetzt werden. Ebenfalls drei Schwesterprojekte des FR-2 wurden betrieben, der Mehrzweckforschungsreaktor MZFR, die Kompakte Natriumgekühle Kernreaktoranlage Karlsruhe KNK und die Schnelle Nuklearenergieanlage Karlsruhe SNEAK. Friedliche Forschung stand immer ganz oben auf der Liste der Forschungsziele in Karlsruhe. Einerseits wollten sie mit SNEAK eine Form des Reaktors erforschen, die kein stark angereichertes Brennmaterial benötigt. Die Anreicherung des Brennstoffes bietet Nationen ein nukleares Waffenprogramm hinter dem zivilen Energieprojekten zu verstecken (rein theoretisch, nicht, dass dies bisher gelungen wäre). Andererseits wurde in Karlsruhe ein Anreicherungsverfahren entwickelt, das als Alternative zu den Zentrifugen präsentiert wurde. Das Trenndüsenverfahren lässt eine Anreicherung nur bis zu einem Grad von 25% schweren Anteils zu, was ausreicht für zivile Nutzung, aber nicht für Waffennutzung. Das Verfahren wurde schließlich von den USA und England ignoriert, die Gefahren, die das Zentrifugenverfahren mit sich brachte, wurden in Kauf genommen.
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  34. Auch das Risiko des Druckwasserreaktors wurden in Kauf genommen. Die KNK sollte als Pilotprojekt für eine neue, sicherere und effizientere Form der Atomenergiegewinnung dienen. Das Atomkraftwerk Kalkar am Niederrhein wurde nach dem Vorbild des KNK gebaut, fertig gestellt und niemals in Betrieb genommen. Leer stehen tut der FR-2 nicht. Im Gegenteil, er ist jetzt ein Museum mit Ausstellungsstücken aus seiner eigenen Vergangenheit, wie z.B. die Trenndüsensäulen, für deren Entwicklung und Produktion neue 3D-Mikrotechnologien entwickelt wurden, Tests mit geschmolzenem Nuklearbrennstoff, Anschasuungsbeispiele verschiedener Reaktortypen, die am Forschungszentrum Entwickelt wurden. Erinnerungen und Träume der Zukunft, die niemals in Erfüllung gegangen sind, Hülsen der Versprechung für eine neue Zukunft, die dann irgendwann zurückgelassen wurden, weil sie einfach zu teuer waren. Wie ein Echo hallen die selben Versprechungen von sauberer und sicherer Energie, modernen Technologien und friedlichen Staaten bis heute.
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