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- BIFIE Wien I Zentrum für Innovation & Qualitätsentwicklung
- Stella-Klein-Löw-Weg 15 / Rund Vier B, 2.OG / 1020 Wien / Telefon +43-1-5336214 / Fax –4030/office.wien@bifie.at
- www.bifie.at
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- STENOGRAMM
- Max von der Grün:
- Das Stenogramm
- Am Sonntag, dem 16. Februar 1969, fuhr auf
- der Bundesstraße 13, Ansbach-Würzburg, drei
- Kilometer vor Ochsenfurt, ein weißer VW auf
- vereister Straße aus einer Nadelkurve heraus
- an einen Straßenbaum.
- Der Aufprall war so stark, dass sich der Stamm
- in den Wagen hineinfraß. Im Unglückswagen
- saßen ein Arzt und seine Frau, sie waren von
- einem dringenden Hausbesuch gekommen, zu
- dem sie am frühen Morgen telefonisch gerufen
- worden waren.
- Der Arzt war diesem Notruf sofort
- nachgekommen, er hatte an diesem
- Wochenende Notdienst. Der Arzt hatte in einem
- abgelegenen Dorf ein diphterieverdächtiges
- Kind behandelt. Das Unglück ereignete sich
- genau um 10.30 Uhr.
- 10.35 Uhr
- Ein grüner Mercedes mit drei Insassen näherte
- sich mit mäßiger Geschwindigkeit aus der
- Kurve heraus dem Unglückswagen. Am Steuer
- saß ein älterer Herr, auf dem Rücksitz eine
- junge Frau, neben ihr eine ältere, ihre
- Schwiegermutter. Die junge Frau schaukelte
- ein etwa dreijähriges Kind auf ihrem Schoß. Die
- junge Frau schrie: Ewald, du musst anhalten.
- Um Gottes willen, da ist was passiert.
- Der Mann schüttelte verärgert den Kopf.
- Quatsch, sagte er, so was ist nichts für das
- Kind.
- Die ältere Frau pflichtete ihm bei. Fahr weiter,
- nuschelte sie, Recht hat er, Recht.
- Aber wir können doch nicht... die junge Frau
- sagte es hastig. Sei jetzt still, sagte ihre
- Schwiegermutter, und der Mann am Steuer
- ergänzte: Wir können in Ochsenfurt auch nicht
- zur Polizei gehen und den Unfall melden. Ich
- habe meine Papiere vergessen. Glaubst du, ich
- will wegen dem VW da in ein Schlamassel
- kommen?
- Der Mann schaute im Vorbeifahren geradeaus,
- die junge Frau scheu auf den Unglückswagen,
- ihre Schwiegermutter zündete sich eine
- Zigarette an, ihre Hände zitterten.
- Als sie etwa einen Kilometer weitergefahren
- waren, sagte die junge Frau: Wir sollten doch
- zur Polizei gehen.
- Der Mann am Lenkrad und die ältere Frau
- schwiegen, nur das Kind auf dem Schoß seiner
- Muller krähte: Mami...tatü...tatü...
- 10.53 Uhr
- Ein kanarigelber Fiat tastete sich vorsichtig in
- die Kurve, schlitterte trotzdem, die junge Frau
- am Steuer hatte Mühe, das Fahrzeug in der
- Gewalt zu behalten. Sie fuhr Schritttempo aus
- der Kurve heraus, sie bemerkte den Wagen am
- Baum, sie schloss einen Moment die Augen,
- sie schrie leise auf.
- Ihre Mutter, die neben ihr saß, bekreuzigte sich,
- flüsterte: Else, um Himmels willen, fahr weiter,
- schnell, bevor jemand kommt. Wir wollen mit so
- was nichts zu tun haben. Else, Kind, ich kann
- so was nicht sehen, du weißt, Kind, mir wird bei
- so was gleich schlecht.
- Wir müssen das der Polizei melden, Mutter.
- Polizei? Kind, fahr weiter, wir wollen keine
- Scherereien haben, wir haben noch nie was mit
- der Polizei zu tun gehabt. Fahr weiter, wir
- haben einfach nichts gesehen, nach uns
- kommen auch noch welche.
- Die Mutter bekreuzigte sich noch einmal, sie
- murmelte vor sich hin.
- 10.58 Uhr
- Aus Richtung Ochsenfurt kam ein Wagen, er
- war am Ortsausgang dem kanarigelben Fiat
- begegnet. Der Mann fuhr an dem
- Unglückswagen vorbei, als ob er überhaupt
- nicht vorhanden sei.
- Das fehlte noch, dachte der Mann, dass ich
- jetzt angehalten werde, dann steht mein Name
- womöglich morgen in der Zeitung, das fehlte
- noch.
- In der Kurve begegnete ihm ein MercedesDiesel
- um 10.59 Uhr.
- Am Steuer des klapprigen, schwarzen Diesels
- saß ein weißhaariger Mann. Der Mann erschrak
- für eine Sekunde, als er den um den Baum
- gewickelten VW sah, er fuhr dann langsam
- weiter, an das verunglückte Fahrzeug heran,
- und hielt wenige Meter dahinter. Der Mann
- stieg aus, er war etwa sechzig Jahre alt, sehr
- beleibt und irgendwie zu kurz geraten. Der
- dicke Mann ging um den VW herum, sah
- erschreckt ein paar Sekunden auf die beiden
- leblosen Menschen durch die zerborstene
- Windschutzscheibe, flüsterte: furchtbar... Dann,
- als er wie zufällig seine abgefahrenen Reifen
- sah, stieg er wieder in seinen Wagen und fuhr
- weiter.
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- Ich will keinen Ärger haben, wenn die Polizei
- kommt, dachte er.
- Das Klappern des lose hängenden Auspuffs
- war noch lange zu hören.
- 11.08 Uhr
- Ein popbemalter Citroen 2 CV schlich in die
- Kurve, die vier jungen Leute, zwei Jungen, zwei
- Mädchen, sangen einen Schlager, sie waren,
- trotz der vereisten Straße, ausgelassen, als
- kämen sie von einer Party. Der Mann am
- Steuer schrie: Nun seid doch still. Schaut nach
- vorne, da hängt einer am Baum.
- Die Mädchen sangen weiter, und der junge
- Mann schrie noch lauter: Still jetzt! Verdammt
- noch mal, ihr blöden Gänse, könnt ihr nicht still
- sein.
- Er hielt an. Er und sein Begleiter stiegen aus,
- sie blieben einige Meter vor dem VW stehen,
- sie bewegten ratlos ihre Arme. Dann traten sie
- näher.
- Mein Lieber, der muss vielleicht einen Zahn
- drauf gehabt haben. Da ist nichts mehr zu
- machen, die sind hops.
- Und jetzt? fragte der andere, sollen wir warten,
- bis die Polizei kommt? Oder sollen wir in
- Ochsenfurt zur Polizei fahren?
- Mensch, bist du verrückt? Ich hab gesoffen, ich
- bin noch von heute Nacht voll, ich hab doch
- eine Fahne, die riechen das doch, die sind doch
- auch nicht von Dummsdorf. Wenn ich blasen
- muss, dann bin ich dran. Das kann ich mir nicht
- leisten.
- Sie gingen zurück, stiegen ein und fuhren
- weiter.
- 11.28 Uhr
- Ein beiger BMW fuhr in die Kurve, am Steuer
- eine blonde, sehr schöne Frau. Der Mann
- neben ihr schläfrig, er gähnte dauernd.
- Fahr nicht so leichtsinnig, sagte er zu der
- blonden Frau. Da sah er den verunglückten
- Wagen, und er sagte: Soll es uns so gehen wie
- denen da?
- Die Frau wollte anhalten. Der Mann schrie: Bist
- du verrückt? Hinterher müssen wir noch als
- Zeugen auftreten.
- Na und?, fragte die Frau. Sag mal, keuchte der
- Mann, hast du vielleicht ein Brett vor dem Kopf.
- Und wenn meine Frau die Vorladung in die
- Finger kriegt, da steht doch dann auch dein
- Name drauf ... was dann ... na ... kapiert?
- Die Frau fuhr langsam weiter, aber sie sah den
- Mann neben sich nicht mehr an.
- 11.35 Uhr
- Langsam näherte sich mit rotierendem Gelblicht
- der Streuwagen aus der Kurve heraus dem
- Unglückswagen.
- Der Beifahrer schrie: Franz! Halt an ... da ... da.
- Ich hab's dir doch gleich gesagt, dass wir heute
- noch einen antreffen, der wo dranklebt. Hätten
- wir mal gewettet.
- Sie hielten hinter dem Unglückswagen, die
- beiden Männer stiegen aus, sie sahen kurz auf
- die leblosen Insassen, sahen sich an, zuckten
- die Schultern. Der Fahrer des Streuwagens
- stieg wortlos ein und meldete den Unfall per
- Sprechfunk in die Zentrale. Sie warteten, ohne
- ein Wort zu wechseln, eine Viertelstunde, bis
- die Polizei kam, und noch weitere zehn Minuten
- bis zum Eintreffen des Krankenwagens, in dem
- ein Arzt mitgekommen war. Als der Arzt den
- Toten am Lenkrad sah, schrie er leise auf.
- Ist was, Doktor, fragte einer der drei Polizisten.
- Nein, nein, nichts. Sind mindestens eine Stunde
- tot, sagte der Arzt. Eine Stunde?, fragte ein
- anderer Polizist. Dass die aber nicht früher
- entdeckt wurden.
- Wie soll auch, antwortete der Arzt. Wer fährt
- scholl bei dem Sauwetter und den Straßen und
- am Sonntagmorgen, wenn er nicht unbedingt
- muss. Und wer muss schon unbedingt am
- Sonntagmorgen.
- Da haben Sie auch wieder Recht, sagte der
- erste Polizist, und die drei Uniformierten
- begannen, den Tatbestand zu protokollieren.
- Meldung am 17.2.69 in allen Würzburger
- Zeitungen: Auf der Bundesstraße 13, kurz vor
- Ochsenfurt, verunglückte gestern Vormittag der
- praktische Arzt Wilhelm Altmann mit seiner
- Ehefrau tödlich. Die Polizei nimmt an, dass der
- Wagen infolge überhöhter Geschwindigkeit aus
- der Kurve getragen wurde und dann an den
- Baum prallte. Die beiden Insassen waren nach
- Auskunft des hinzugeeilten Arztes sofort tot.
- Alle diejenigen, die am Sonntag, dem 16. 2. 69,
- in der Zeit von 10.30 bis 11.35 die
- Unglücksstelle passierten, lasen am
- Montagmorgen die Zeitung.
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- Aufgabe 1:
- Lies den Text „Das Stenogramm“ von Max von der Grün.
- Beantworte dann die folgenden Fragen.
- 1. Kreuze die richtige Antwort an: Dieser Text ist
- ein Sachtext A
- ein literarischer Text B
- ein journalistischer Text C
- 2. Schüler/innen haben eine Inhaltsangabe geschrieben. Welche Einleitung findest
- du am gelungensten? Kreuze diese Einleitung an.
- In dem Text „Das Stenogramm“ von Max von der Grün geht es um den
- tödlichen Unfall eines Arztes und seiner Ehefrau, die von einem Arztbesuch
- kommen und mit ihrem VW gegen einen Baum fahren.
- A
- In dem Text „Das Stenogramm“ von Max von der Grün geht es um die
- Handlungsweise von Menschen, die an einem Sonntagmorgen mit ihrem
- Auto an einer Unfallstelle vorbeikommen und aus unterschiedlichen Gründen
- den Unfall der Polizei nicht melden.
- B
- Max von der Grüns Geschichte „Das Stenogramm“ handelt von den
- Gefahren des Autofahrens. C
- Die Geschichte „Das Stenogramm“ wurde von Max von der Grün verfasst
- und handelt davon, dass ein Arzt und seine Ehefrau einen tödlichen
- Autounfall haben und erst mehr als eine Stunde später vom Fahrer eines
- Streuwagens entdeckt werden.
- D
- 3. Zähle fünf Motive (Gründe) in diesem Text auf, warum Autofahrer/innen nicht
- stehen bleiben:
- 1
- 2
- 3
- 4
- 5
- 4. Nenne die zwei Personen, die sich bei der Weiterfahrt am wenigsten wohlfühlen.
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- 5. Die ältere Frau im grünen Mercedes möchte unbedingt weiterfahren. Aber auch
- sie fühlt sich nicht ganz wohl dabei. Woran merkt man das?
- Kreuze alle Aussagen, die passend sind, an.
- Sie sagt: „Sei jetzt still!“ A
- Sie zündet sich eine Zigarette an B
- Ihre Hände zittern C
- Sie pflichtet dem Mann bei D
- 6. Die blonde, sehr schöne Frau am Steuer des beigen BMW ist (1 Lösung ist richtig)
- die Chefin des Mannes neben sich A
- die Geliebte des Mannes neben sich B
- die Sekretärin des Mannes neben sich C
- eine Verwandte des Mannes neben sich D
- 7. Die blonde, sehr schöne Frau am Steuer des beigen BMW „fuhr langsam weiter,
- aber sie sah den Mann neben sich nicht mehr an.“ Sie sieht ihn deshalb nicht
- mehr an (mehrere Lösungen sind richtig),
- weil sie sich wieder auf den Verkehr konzentrieren muss A
- weil sie die Hartherzigkeit des Mannes nicht erträgt B
- weil der Mann sie beleidigt hat C
- weil sie sich auf den weiteren Verlauf des Tages freut D
- 8. Dass die beiden Unfallopfer sofort tot waren, erfahren wir mit Sicherheit
- (1 Lösung ist richtig)
- zu Beginn der Geschichte A
- durch eine/n der Vorbeifahrenden B
- erst durch den Arzt C
- erst durch die Zeitungsmeldung am Schluss der Geschichte D
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- 9. „Alle diejenigen, die am Sonntag, dem 16.2.69, in der Zeit von 10.30 bis 11.35 die
- Unglücksstelle passierten, lasen am Montagmorgen die Zeitung.“ Warum taten sie
- das (mehrere Antworten möglich)?
- 10.
- Sie wollten die Sportnachrichten lesen A
- Sie wollten etwas über den Unfall erfahren B
- Sie wollten wissen, ob sich die Straßenverhältnisse bessern, und lasen den
- Wetterbericht C
- Sie wollten lesen, was mit den Unfallopfern passiert war D
- Aufgabe 2:
- Einige Personen in dem Text möchten gerne die Polizei verständigen, so zum
- Beispiel:
- - die jungen Frau im grünen Mercedes
- - der Beifahrer des Citroen 2 CV
- - die blonde, sehr schöne Frau im beigen BMW
- -
- Wähle eine dieser drei Personen aus und verfasse einen Inneren Monolog.
- Er soll zeigen, wie die Person zwischen ihrem schlechtem Gewissen und den
- Aussagen der anderen Autoinsassen hin- und hergerissen ist.
- Schreibe 150 bis 200 Wörter.
- Aufgabe 3:
- Verfasse einen persönlichen Kommentar zu der Frage, warum Menschen oft
- wegschauen und nicht helfen; in der U-Bahn, auf der Straße, in der Schule, im
- Bekannten- und Freundeskreis…
- Gib deinem Kommentar einen passenden und ansprechenden Titel.
- Führe mindestens zwei Argumente an.
- Schreibe 120 bis 150 Wörter.
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- Lösungsblatt: STENOGRAMM
- Aufgabe 1:
- 1) B
- 2) B
- 3) Folgende Motive können angeführt werden:
- Vermeidung von Scherereien mit der Polizei wegen vergessener Papiere
- [„so was ist nichts für das Kind“ ist wohl eher ein Vorwand]
- Alle Antworten in Richtung Überforderung der Mutter; also keine Scherereien, v. a. nicht mit der
- Polizei; kann Unfall nicht sehen …
- Der (eventuell prominente) Mann will hier nicht angetroffen werden, will nicht in der Zeitung stehen.
- Der weißhaarige Mann fürchtet Ärger mit der Polizei wegen abgefahrener Reifen.
- Der jugendliche Lenker des 2 CV ist betrunken.
- Der verheiratete Mann fürchtet, dass seine Frau von seiner Beziehung erfährt.
- 4) Folgende zwei Personen fühlen sich bei der Weiterfahrt am wenigsten wohl:
- Die junge Frau im grünen Mercedes
- Die blonde, sehr schöne Frau im beigen BMW
- 5) A, B, C
- 6) B
- 7) B, C
- 8) C
- 9) B, D
- Aufgabe 2:
- Der innere Monolog sollte folgende Kennzeichen aufweisen:
- Ich Form
- Gewissenskonflikt der monologisierenden Person
- Die Überlegung, ob sie sich nicht doch durchsetzen soll und Polizei verständigen soll
- Überlegungen zu dem Menschen, von dem sie bedrängt wird, untätig zu sein
- Textsortenmerkmale des inneren Monologs: Sprache, Assoziationen, Gedankensprünge…
- Aufgabe 3:
- Eine Hilfe für die Bewertung ist der BASISKRITERIENKATALOG zur Schreibhaltung
- „ARGUMENTIEREN“.
- In: BIFIE (Hrsg): Praxishandbuch für „Deutsch“, 5.-8. Schulstufe. Graz: Leykam, 2010, S. 32-33.
- (Abrufbar auf der Homepage des BIFIE)
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