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Oct 23rd, 2019
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  1. Ein Versprechen von Facebook heißt nichts"
  2. Roger McNamee half dem sozialen Netzwerk in seinen Anfangstagen. Nun warnt er davor
  3. ANNA GOLDENBERG — MEDIEN, FALTER 41/19 VOM 09.10.2019
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  5. Roger McNamee geht es wie vielen von uns. Als Facebook 2004 gegründet wurde, fand er die Idee großartig. Endlich ein soziales Netzwerk, das die Welt verbinden konnte. Doch dann folgte die Ernüchterung. Datenschutzprobleme, Fake News, Suchtpotenzial. Er wandte sich ab. Was den heute 63-Jährigen vom Durchschnittsuser unterscheidet: Der US-Amerikaner und langjährige Tech-Investor war einer der frühen Berater von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, von 2006 bis 2009. Er war es auch, der ihm Sheryl Sandberg als Co-Geschäftsführerin vermittelte.
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  7. Vor einigen Jahren ging er in den Ruhestand -und wurde Aktivist. Im Februar veröffentlichte er sein Buch "Zucked: Waking Up to the Facebook Catastrophe", im Dezember erscheint es auf Deutsch, nun ist er auf Europa-Tour, um vor Facebook zu warnen. Wenige Tage nach dem Interview mit dem Falter in Wien verkündete der Europäische Gerichtshof, dass Facebook künftig Hasspostings sowie inhaltlich gleichwertige Posts auch länderübergreifend löschen muss. Die erste Frage beantwortet McNamee per E-Mail.
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  9. Falter: Herr McNamee, ist das Urteil des EGMR eine gute Sache, oder gibt es Facebook zu viel Macht?
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  11. Roger McNamee: Das Urteil ist eine Herausforderung für Facebook, das ja prinzipiell nichts macht, um politische Inhalte einzuschränken. Spezifische Posts zu löschen wird nicht schwierig für Facebook sein, aber ich habe keine Ahnung, ob und wie es die Forderung befolgt, "sinngleiche" Inhalte zu entfernen. Es wird garantiert unbeabsichtigte Konsequenzen geben, aber ich weiß nicht, welche das sein werden. Wenn es nach mir ginge, würde ich einen anderen Zugang wählen. Die zwei Aspekte von Internetplattformen, die mich am meisten beunruhigen, sind das unerbittliche Sammeln persönlicher Daten -was das Mikrotargeting, also das Zuschneiden von Inhalten auf Individuen, ermöglicht - und die Verstärkung von Hass, Falschinformation und Verschwörungstheorien. Das rührt daher, dass die Algorithmen so programmiert sind, dass die User möglichst viel mit den Inhalten interagieren. Das Ende der Anwendung von Algorithmen würde den Schaden beheben, ohne die Meinungsfreiheit einzuschränken.
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  13. Hier in Österreich ist gerade der Wahlkampf zu Ende gegangen. Eine Million Euro haben die österreichischen Parteien für Werbung auf Facebook und Instagram ausgegeben. Beunruhigt Sie so etwas?
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  15. McNamee: Mir macht der Einsatz von Mikrotargeting in der Politik Sorge. Die Idee, dass eine Kampagne in separate Aufrufe an jeden Wähler aufgebrochen werden kann und dabei auf den jeweiligen Schwachpunkt abzielt, halte ich für problematisch. In einer perfekten Welt sollte es in der Politik darum gehen, die Menschen zusammenzubringen. Die Internetplattformen ermöglichen es den Menschen, in Filterblasen zu leben, in denen alle mit einem übereinstimmen. Google, Facebook und Microsoft haben die Verantwortung, die Demokratie nicht zu schwächen.
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  17. Aber wenn ich als Partei Wähler erreichen will, ist Facebook nun einmal eine gute Möglichkeit, das Werbegeld auszugeben.
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  19. McNamee: Ich sage nicht, dass man die Internetplattformen nicht verwenden soll, um Menschen zu erreichen. Ich sage nur, dass ich nicht glaube, dass Mikrotargeting für die Demokratie gut ist. Ich sähe lieber eine Politik, in der Kandidaten mit Themen überzeugen und nicht den schwächsten emotionalen Punkt der Wähler identifizieren - und dann sagen: "Mein Gegner wird das noch schlimmer machen."
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  21. Wann ist Ihnen so etwas zum ersten Mal aufgefallen?
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  23. McNamee: Das war im Jänner 2016, während der demokratischen Vorwahlen im US-Bundesstaat New Hampshire. Damals sah ich hasserfüllte Memes, die von Facebook-Gruppen kamen, die mit der Bernie-Sanders-Kampagne assoziiert schienen. Dann wurden mehr und mehr meiner Freunde Mitglieder dieser Gruppen, weshalb ich vermutete, dass jemand Geld ausgab, um diese Gruppen zu bewerben. Bis heute weiß ich nicht, wer das war. Es folgten mehr und mehr solcher Beispiele. Denken Sie an den Brexit!
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  25. Im August 2016 wurde bekannt, dass Russland hinter dem Hacking-Angriff auf die Server des Democratic National Committee (DNC) steckte. Die veröffentlichten E-Mails fügten der Kampagne von Hillary Clinton enormen Schaden zu. Gemeinsam mit dem, was Sie bereits über Facebook wussten, beunruhigte Sie das enorm. Sie schrieben einen Kommentar, den Sie in einer Zeitung veröffentlichen wollten.
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  27. McNamee: Meine Frau schlug vor, den Kommentar zuvor an Sheryl Sandberg und Mark Zuckerberg zu schicken. Beides sind Menschen, die ich beraten hatte und als Freunde betrachtete. Ich wollte sie warnen, dass schlechte Leute ihr Businessmodell und die Facebook-Algorithmen missbrauchten. Das war neun Tage vor den US-Präsidentschaftswahlen im November 2016.
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  29. Wie reagierten die beiden auf den Text?
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  31. McNamee: Sie antworteten innerhalb weniger Stunden per E-Mail. "Roger, schön von dir zu hören. Wir respektieren deine Ansichten, aber wir sind anderer Meinung. Wir glauben nicht, dass mit unserem Businessmodell oder den Algorithmen etwas falsch ist." Ich hatte nicht damit gerechnet, dass die beiden alles stehen und liegen lassen.
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  33. "Das seltsamste Meeting aller Zeiten": So bezeichnet Roger McNamee sein erstes Treffen mit Mark Zuckerberg. Wir schreiben das Jahr 2006. Facebook ist ein rasant wachsendes soziales Netzwerk. Die neun Millionen User sind allesamt Studenten, der Gründer Zuckerberg ist gerade einmal 22 Jahre alt. Von McNamee, 50, einem erfahrenen Investor im Silicon Valley, will er Rat: Soll er das Unternehmen um eine Milliarde Dollar an Yahoo verkaufen? McNamee rät ihm davon ab, was folgt, schreibt McNamee in seinem Buch "Zucked", habe er noch nie zuvor in einem Treffen zu zweit erlebt: Knapp fünf Minuten schwieg Zuckerberg -und dachte nach.
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  35. Wie war die Stimmung im Silicon Valley, als Sie Zuckerberg zum ersten Mal trafen?
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  37. McNamee: Silicon Valley gab es damals schon über 50 Jahre. Es war ein sehr idealistischer Ort, jeder glaubte daran, dass Technologie die Welt verbessern könnte. Mark war klug, intensiv und voller Energie. Sie müssen verstehen, Facebook war anders als alle vorherigen Social-Media-Plattformen, weil man den Universitäts-E-Mail-Account zum Einloggen benötigte. Das kreierte eine authentifizierte Identität. Außerdem konnten die User selbst einstellen, wer was von ihnen sah. Das waren Durchbrüche. Vor Facebook wäre eine globale Internetplattform überhaupt nicht möglich gewesen. Es wäre viel zu teuer gewesen. Aber alle Probleme mit Rechenleistung, Speicherplatz und Bandbreite verschwanden zwischen 2004 und 2010. Als Ressourcen beschränkt waren, hatte man eine enge Beziehung mit dem Kunden. Man musste sich entscheiden, konnte nur machen, was dieser am meisten schätzte. Das verhinderte Schaden. Facebook konnte das egal sein. Es konnte bestimmen.
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  39. Da die Ressourcen immer billiger wurden, verringerten sich auch die Kosten, um ein Start-up zu gründen. Es entstanden Firmen, die wichtige Infrastruktur - etwa Webserver -vermieteten. Brauchte man früher rund 100 Millionen Dollar Kapital für die Gründung, waren es jetzt nur noch zehn Millionen Dollar. Dazu kam die sogenannte Paypal-Mafia. Paypal-Gründer Peter Thiel, Elon Musk (Tesla, SpaceX) und Linkedin-Gründer Reid Hoffmann waren Investoren, die Start-ups mit ihrem Geld von Anfang an unterstützten. Thiel gehörte zu den frühesten Facebook-Investoren und brachte ein neues Wertesystem ins Silicon Valley. "Nur Wachstum zählte", erklärt McNamee. "Disruption wurde von einer Konsequenz zu einem Ziel, und Entrepreneure waren plötzlich nicht mehr verantwortlich für die Folgen der Disruption." In Firmen wie Uber, Spotify oder Airbnb zu investieren sei mit seinem Wertesystem nicht mehr vereinbar gewesen, erzählt McNamee. Also hörte er auf. Da Start-ups günstiger wurden, arbeiteten hauptsächlich junge Menschen dort. Sie bezeichnen das im Fall von Facebook als Vorteil. Warum?
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  41. McNamee: In einer Welt, in der es nur um Wachstum geht, um eine Zahl, sei es der Umsatz, die monatlichen Userzahlen oder die Engagementzeit, ist es vorteilhaft, junge Menschen anzustellen. Die meisten Menschen, die am Beginn bei Facebook arbeiteten, hatten nie zuvor einen Vollzeitjob gehabt. Sie wussten nicht, dass man es auch anders machen konnte. Wenn man ihnen gesagt hat, dein Job ist, die User dazu zu bekommen, mehr Zeit auf der Seite zu verbringen, hinterfragten sie das nicht. Ich finde es unglaublich, dass beispielsweise kein einziger Mitarbeiter von Facebook öffentlich gegen die Rolle protestiert hat, die Facebook bei den ethnischen Säuberungen in Myanmar gespielt hat. Ein Bericht der UN zeigt, dass auf Facebook-Seiten monatelang Hetze verbreitet wurde und Facebook diese viel zu spät löschte. In einem Unternehmen mit erfahreneren Leuten wäre das anders, denke ich.
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  43. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Zuckerberg und Sandberg andere Pläne nach Facebook hatten. Welche?
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  45. McNamee: Es war ein offenes Geheimnis im Silicon Valley, dass Sheryl politische Ambitionen hatte. Und Mark reiste 2017 durch ganz Amerika, was ganz nach einer politischen Tour aussah. Dann kam Cambridge Analytica. Ich glaube, dass Facebooks langsame Reaktion auf den Skandal zum Teil darin begründet war, dass sie realisierten, wie gefährdet ihre weiteren Pläne nun waren. Facebook hat eine unglaubliche PR-Strategie. Es gelingt ihnen, die Reaktion auf jede Kritik so lange hinauszuzögern, bis Journalisten und Politiker darauf vergessen haben. Und ein Versprechen von Facebook heißt nichts. 2011 unterschrieben sie eine Vereinbarung mit der Federal Trade Commission, die besagte, dass User einwilligen müssen, damit Daten an Dritte weitergegeben werden dürfen. Das träfe dann auch auf die Daten von Freunden zu. Facebook hat das nicht gemacht, und das führte zu Cambridge Analytica.
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  47. Im März 2018 war bekannt geworden, dass die britische Datenanalysefirma Cambridge Analytica massenhaft Daten von Facebook-Usern abgesaugt hatte. Sie wurden weiterverarbeitet, um bei politischen Kampagnen individuell auf kleinste Wählergruppen zugeschnittene Werbung möglich zu machen, sogenanntes Mikrotargeting. Auch im Wahlkampf Donald Trumps wurde das eingesetzt.
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  49. Sind eigentlich alle sozialen Netzwerke verloren, oder gibt es noch Plattformen, die ethisch sind?
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  51. McNamee: Ich wäre beim Wort "ethisch" vorsichtig. Wir lassen die Unternehmen Daten sammeln, und sie behaupten, sie gehören ihnen. Ist das vernünftig? Wenn Sie zum Arzt gehen und er untersucht Sie, gehört ihm Ihr Körper? Nein. Was Firmen an Ihren Daten besitzen, ist eine digitale Repräsentation Ihres Körpers. Warum sollte damit Gewinn gemacht werden? Ich reise durch Europa und hoffe, dass Daten als Menschenrecht und nicht als Vermögenswerte gesehen werden. Wir glauben, dass wir Internetplattformen ein bisschen von unseren Daten geben und im Gegenzug einen Dienst erhalten. Aber das ist nicht das, was passiert. Sie nehmen alles.
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  53. Sie selbst entwickeln ein Modell, um den Wert von Daten zu messen.
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  55. McNamee: Ich entwickle das für kartellrechtliche Zwecke, weil ich die Nutzung von Daten verboten sehen will. Gemeinsam mit der Universität Yale habe ich ein Modell des Überwachungskapitalismus entwickelt. Wir tauschen Daten gegen Dienste mit den Internetfirmen. Aber über Zeit gerechnet zahlt der User einen höheren Preis. Denn der Wert der Daten steigt, aber eine Dienstleistung, die einmal geliefert wurde, ändert ihren Wert nicht mehr. Die Internetfirmen verstoßen also schon gegen kartellrechtliche Gesetze im Bezug auf ihre Kunden.
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  57. Stimmt es eigentlich, dass Sie den Film "The Social Network" noch nie gesehen haben, wie Sie im Buch schreiben?
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  59. McNamee: Ich habe ihn mir letztens doch angeschaut. Meine Erfahrungen mit Mark begannen, wenige Monate nachdem die Timeline des Films endet. Ich kann Ihnen sagen, den Mark aus dem Film habe ich nie selbst erlebt. Aber ich weiß jetzt, dass es diesen parallelen Mark die ganze Zeit gab. Den Hacker, die Person, die sich gegen Autoritäten stellt. Das ist nicht der Mark, den ich mag, aber es ist der Mark, der uns Sorge bereitet.
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