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Jan 16th, 2019
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  2. welt.de
  3. Computerspiel-Sucht: Wie viel Gaming ist für Kinder okay? - WELT
  4. Von Marcel Reich Redakteur
  5. 13-15 Minuten
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  7. Wer Etienne Gardé näherkommen will, muss sich die Sendung „MoinMoin“ auf dem Internetsender Rocket Beans anschauen, den er vor vier Jahren mitgegründet hat. Dort sitzt er morgens eine Stunde an einem kleinen Schreibtisch und redet. Ohne Skript, das Thema wählt er oft erst auf dem Weg zum Sender aus.
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  9. Gardé ist ein netter Nerd, ein Digital Native. Vor Kurzem wurde er 40 Jahre alt. Wer beruflich Videospiele spielt und lockere Witze macht, der wird anders älter. Nun ist Gardé aber nicht nur der lustige Videospiele-Typ, sondern auch Familienvater. Mit seiner Frau hat er zwei Söhne, fünf Jahre und ein Jahr alt. Eine Situation, die ihn vor neue Herausforderungen stellt.
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  11. WELT: Auf der Arbeit sind Sie der Spaßmacher und beschäftigen sich mit Videospielen, Serien und Filmen. Zu Hause haben Sie die Verantwortung für Ihre Kinder. Wie halten Sie diese Balance?
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  13. Etienne Gardé: Natürlich bin ich vor der Kamera erst mal der Quatschmacher. Aber der bin ich auch privat. Es ist jetzt nicht so, dass ich eine Rolle spiele bei der Arbeit und dann nach Hause komme und plötzlich „megaspießig“ sage: „So, Honey, wo bleibt das Abendessen?“ Ich war mein ganzes Leben schon auch ein bisschen ein Chaot. Videospiele sind ein Hobby von mir, und Sprüche und Quatsch auch. Das war schon immer so und wird wahrscheinlich auch immer so sein. Aber natürlich habe ich zu Hause als Vater eine andere Rolle und muss auch mal streng sein und Grenzen setzen. All diese Sachen, die völlig normal sind als Vater. Aber das fühlt sich alles natürlich an, da muss ich nicht erst einen krassen Hebel umlegen oder mich verstellen.
  14. Rocket Beans TV
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  16. Die Gründer von Rocket Beans TV (v. l.): Daniel Budiman, Simon Krätschmer, Etienne Gardé und Nils Bomhoff
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  18. Quelle: Rocket Beans Entertainment GmbH
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  20. WELT: Passen Sie seitdem vielleicht auch anders auf sich selbst auf, seitdem Sie Kinder haben?
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  22. Gardé: Ich weiß, dass das viele machen. Ich habe zum Beispiel aufgehört zu rauchen. Aber das war ganz egoistisch, weil ich unzufrieden mit meiner Gesundheit war und jetzt nicht speziell wegen der Kinder. Ich habe ja auch noch geraucht, als die Kinder da waren. Ich fahre jetzt vielleicht etwas vorsichtiger Auto. Wobei ich auch vorher nicht so gefahren bin, dass jederzeit ein Unfall passieren kann. Ich würde nach wie vor gerne lange und gesund leben, das hat sich nicht geändert. Aber man ist schon ängstlicher, dass was passiert.
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  24. WELT: Denken Sie, dass Sie sich verändert haben, seitdem Sie Vater sind?
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  26. Gardé: Ja, sicherlich. Ich glaube, das sind schleichende Prozesse, also nicht, dass man total der Chaot war und dann plötzlich über Nacht vernünftig wird. Aber natürlich lerne ich ein bisschen Demut und reflektiere anders über mich selbst und über das Leben. Weil ich plötzlich ein Kind aufwachsen sehe und erinnert werde an meine eigene Kindheit. Dadurch beschäftige ich mich auch noch einmal ganz anders mit mir selbst, viele Dinge werden in Perspektive gesetzt, was Verantwortung und Disziplin angeht. Du kannst einfach nicht mehr nur an dich selbst denken, sondern wirst morgens einfach um sechs oder sieben geweckt, egal um wie viel Uhr du ins Bett gegangen bist. Oder dass du für dein Kind da sein musst, wenn du krank bist, egal wie schlecht es dir geht. Es gibt plötzlich einen ganzen Katalog an Dingen, die du aus Bequemlichkeit oder Egoismus vorher nicht machen musstest. Es ist aber ein Mythos, zu denken, dass faule Menschen durch Kinder plötzlich fleißig oder aggressive Menschen friedlich werden. Es ist nicht so, dass man aus dem Elixier der Erkenntnis trinkt.
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  28. WELT: Vor der Kamera lieben Sie Ironie und Sarkasmus. Wie funktioniert das mit Ihren Kindern, die das vielleicht noch nicht so verstehen?
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  30. Gardé: Ja, sie verstehen Ironie und Sarkasmus überhaupt nicht, aber da müssen sie halt durch (lacht). Meine Mutter veräppelt meine Kinder aber mehr als ich. Ich muss ihr manchmal sagen: „Ey Mama, der checkt das gerade nicht“, wenn sie einen lustigen Spruch macht und in verdutzte Augen blickt. Wenn wir Brettspiele spielen und er verliert und wütend ist, dann fange ich aber schon mal vor Freude an zu tanzen, um meinen Großen ein bisschen zu ärgern. Und wenn er dann sauer ist, tanze ich noch mehr. Durch so was will ich aber eigentlich nur das Positive aus ihm herauskitzeln. Meistens muss er dann auch irgendwann lachen. Wenn ich merke, die Stimmung kippt, höre ich auf. Meistens.
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  32. Lesen Sie auch
  33. Moderator Nils Bomhoff: Früher war er bei „Giga“, heute bei den „Rocket Beans“. Meistens spielt er Computerspiele vor der Kamera
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  35. WELT: Wenn Sie vergleichen, wie Ihr Leben vor den Kindern aussah und wie es jetzt ist – was hat sich verändert?
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  37. Gardé: Vor den Kindern war ich ein ziemlicher Nachtmensch, bin also sehr spät ins Bett gegangen. Ich habe sehr viel mehr Filme und Serien geschaut und auch viel mehr Games gezockt. Ich bin natürlich auch häufiger weggegangen oder habe mich mit Freunden getroffen. Die Urlaube waren komplett anders. Man war viel spontaner. Ich konnte zu meiner Frau sagen: „Komm, lass mal für ne Woche nach New York fliegen in den Osterferien.“ So was ist jetzt undenkbar und mit viel mehr Planung und Organisation verbunden. Heute geht es eher ins Familienresort, auch wenn das den eigenen Bedürfnissen weniger entspricht. Aber wenn die Kinder glücklich sind, ist man auch glücklich. Früher war ich egozentrischer, mehr auf mich fixiert und musste meine eigenen Bedürfnisse nicht so oft hintanstellen. Wenn man das aber 35 Jahre gemacht hat, ist es vielleicht gar nicht so schlecht, wenn man mal jemand anderen in den Fokus seines Lebens rückt.
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  39. WELT: Wenn Sie dann in so einem Resort liegen: Haben Sie Angst, zum Spießer zu werden?
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  41. Gardé: Nee, eigentlich nicht. Was heißt schon Spießer? Das sind so Schubladen, die man vielleicht noch in jungen Jahren hatte. Aber je älter ich werde, desto egaler wird mir, was für ein Label man mir aufklebt. Ich habe mein ganzes Leben schon so ein unglaublich unspießiges Leben geführt. Habe mein Hobby zum Beruf gemacht und darf auch ohne Casual Friday eine Kappe bei der Arbeit tragen. Und am Ende des Tages interessiert mich nur: Ist meine Familie glücklich? Bin ich glücklich? Ich könnte mich mit den Kids auch mit Rucksack und Machete durch den vietnamesischen Dschungel kämpfen, wenn ich Lust darauf hätte. Aber ich liege lieber am Pool, trinke Cocktails und lese ein Buch. Da stört es mich auch nicht, dass am Pool nebenan gerade Wassergymnastik zu frechen Popsongs angeboten wird. Das hat ja auch gute, praktische Gründe.
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  43. WELT: Welche sind das?
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  45. Gardé: Du kannst mit dem Energiehaushalt der Kinder überhaupt nicht mithalten. Wenn die nicht in die Kita oder die Schule müssen, musst du sie 13 bis 14 Stunden am Tag bespaßen. Da hilft es, wenn andere Kinder vor Ort sind oder das Hotel eine Schnitzeljagd veranstaltet. Außerdem muss man sich in der Regel nicht ums Einkaufen, Kochen und Saubermachen kümmern. Worauf ich im Urlaub auch so gar keine Lust habe. Ganz im Gegenteil zu sonst, wo ich dafür bekannt bin, ständig sauber zu machen und zu kochen (lacht). Ich stelle mir das schwer vor, wenn du in einer Berghütte allein und abgeschieden von allem bist. Das ist irgendwie romantisch und schön, aber ich glaube, meine Kinder würden irgendwann durchdrehen. Und ich auch.
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  47. Lesen Sie auch
  48. Nils Bomhoff (l.) und Etienne Gardè
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  50. WELT: Wenn man nun aber immer eher egoistisch gelebt hat, sind Kinder dann nicht auch manchmal ein bisschen anstrengend?
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  52. Gardé: Und wie. Gerade in den ersten Jahren. Da können die ja wirklich noch gar nichts. (lacht). Und wenn dein Kind dann ein Bild malt und dich fragt, ob du das gut findest. Also ich bin dann immer hin- und hergerissen. Wie bringe ich ihm das jetzt pädagogisch hilfreich bei? Bin ich ehrlich oder nicht? Nach mehrmaligem Nachfragen verstehe ich, dass das ein Haus sein soll, was er da gemalt hat. Aber nach physikalischen und architektonischen Prinzipien ist das kein Haus. Mit viel Liebe ist es ein Kreis, mit einem eckigen Kamin, aus dem Haare kommen. Oder wenn er zählt: eins, zwei, fünf, elf, vierzehn. Wow. Also richtig ist das dann ja nicht. Aber es sind immerhin Zahlen. Da die Balance zu finden ist die hohe Kunst des „Parenting“, wie wir jungen Eltern ja sagen. Aber wenn er wirklich nichts gut kann, kann er ja YouTuber werden. Da habe ich ganz gute Kontakte.
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  54. WELT: Wie handhaben Sie es so mit Regeln und Verboten in der Erziehung?
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  56. Gardé: Ich habe letztens einen Podcast von Katja Saalfrank gehört, der „Super Nanny“. Die meinte, sie macht alles ohne Verbote und Regeln. Sie würde lieber rausfinden wollen, warum ihr Sohn sich so verhält, wenn er Sachen schmeißt oder brüllt. Ich finde Regeln wichtig, und Kinder regulieren sich nicht selbst. Wenn ich einem Kind 20.000 Schokobons hinlege, dann isst es die, bis es platzt. Ich würde so viele Schokobons essen, bis ich platze, wenn man sie mir nicht wegnehmen würde. Vokabeln lernen macht halt nicht so viel Spaß wie „Fortnite“ zocken.
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  58. WELT: Hat sich das Verhältnis zu Ihren Eltern verändert, seit Sie selbst Vater sind?
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  60. Gardé: Man hört es ja als Kind oft: „Wenn du mal Kinder hast, wirst du es verstehen.“ So ist es wirklich, und ich würde das am liebsten jetzt schon auch zu meinen Kindern sagen. Weil es einfach nicht vorstellbar ist, wie anstrengend und unfassbar zeitintensiv das Leben dann ist. Das verstehen Kinder halt erst, wenn sie selbst Eltern sind. Das ist so ein Klub, wie eine Sekte, in die man aufgenommen wird. Bei seinen Eltern denkt man immer: Die existieren auch erst, seit ich existiere. Ich habe mir nie darüber Gedanken gemacht, dass meine Eltern ein Leben hatten, bevor ich da war. Und plötzlich merkt man bei sich selbst: Ich habe auf jeden Fall ein Leben gehabt, bevor meine Kinder da waren. Papa war eben nicht schon immer Papa.
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  62. WELT: Mit Kindern ist es aber nicht immer nur wunderschön. Wie haben Sie gelernt, damit umzugehen?
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  64. Gardé: Man wundert sich, dass so ein kleiner Mensch, der eigentlich nichts kann, es schafft, einen manchmal so auf die Palme zu bringen. Wenn er sich extra langsam anzieht, um Zeit zu schinden, wenn er in den Kindergarten und du zur Arbeit musst. Oder so Sachen sagt wie „selber“ oder dich nachäfft. Toll auch, wenn das Kind versucht, sich das gesamte Essen ins Gesicht und auf die frisch gewaschenen Klamotten zu reiben. Aber das Kind findet es halt megagut gerade und denkt, dass das die genialste Idee überhaupt ist. Du stehst plötzlich auf verlorenem Posten und musst deine Strategie ändern. Wenn sich das Kind im Kaufhaus auf den Boden legt und schreit. Wo ich dachte, so was passiert mir nicht. Und dann passiert es dir irgendwann und du denkst: „Ich habe doch alles anders gemacht als alle anderen doofen Eltern.“ Du merkst, du bist halt auch nicht schlauer als der Rest der Welt.
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  66. WELT: Ihr Beruf sind Videospiele und Technikkram. Wie viel davon erlauben Sie Ihren Kindern?
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  68. Gardé: Der Große ist fast sechs, der darf schon ein bisschen zocken. Der Kleine natürlich noch nicht. Der soll im Prinzip auch noch nicht so viel auf Bildschirme glotzen. Das lässt sich manchmal aber nicht verhindern, weil es zum einen mein Beruf ist und zum anderen, weil mittlerweile fast alles irgendwie auch auf einem Bildschirm stattfindet. Man hört ja ständig: „Ja, die Eltern gucken ja alle nur noch auf die Handys. Ist ja klar, dass die Kinder dann auch so werden.“ Man darf aber nicht vergessen: Wenn ich arbeite, wenn ich etwas gucke, wenn ich lese, wenn ich etwas höre, wenn ich etwas verschicke, wenn ich kommuniziere und so weiter und so fort – das passiert mehr oder weniger alles auf einem Gerät, das in der Regel irgendeine Form von Bildschirm ist. Ich finde es Quatsch, meine Kinder komplett davon fernzuhalten. Ich will eher, dass sie einen kompetenten Umgang mit den Medien lernen.
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  70. WELT: Auch Videospiele sind also okay?
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  72. Gardé: Wie sollte ich Videospiele verteufeln? Es gibt auch tolle, pädagogisch wertvolle Spiele für Kinder, alleine auf dem iPad. Da wäre ich ja bescheuert, wenn ich die nicht nutzen würde. Nur weil es kein haptisch anfassbarer Holzwürfel ist, ist es nicht automatisch schädlich. Allerdings sehe ich, wie süchtig es macht: Wenn das Kind einen Anfall bekommt, wenn man das iPad ausmacht. Ich denke, es ist wichtig darauf zu achten, dass die Kinder eben auch andere Hobbys und Interessen entwickeln. Da ist wie bei allen Sachen immer eine ausgewogene Herangehensweise wichtig.
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