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cafe in berlin

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Dec 13th, 2021
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  1. 1. Die Wohngemeinschaft
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  3. Mein Vater sagt, die Deutschen spielen gut Fußball. Aber mein Vater spielt nicht Fußball. Er schaut Sport nur im Fernsehen. Mein Onkel sagt, die Deutschen trinken viel Bier. Aber er trinkt auch viel Bier. Was ist deutsch und was ist normal? Ich weiß es nicht.
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  5. Ich bin Dino. Ich komme aus Sizilien. Seit einem Monat wohne ich in Berlin. Das Wetter ist schlecht hier. Es regnet oft und es ist kalt. Ich vermisse die Sonne und das Meer. Aber es gibt Arbeit hier, sagen die Statistiken. Ich habe noch keine Arbeit gefunden, aber ich habe nicht wirklich gesucht. Zuerst muss ich Deutsch lernen. Und das ist gar nicht so einfach.
  6.  
  7. Ich wohne in Kreuzberg. Das ist ein Stadtteil in Berlin. Hier leben Menschen aus der ganzen Welt. Ich wohne in einer WG, kurz für: Wohngemeinschaft. Das bedeutet, ich wohne gemeinsam mit anderen Leuten. Wir sind alle Ausländer. In meiner WG wohnt ein Mexikaner, ein Chinese, ein Amerikaner und ich. Wir sprechen meistens Englisch. Das ist nicht gut, sagt meine Lehrerin. Wir müssen Deutsch sprechen, den ganzen Tag, sagt sie.
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  9. Meine Lehrerin kommt aus Potsdam. Jeden Tag gehe ich zum Deutsch-Unterricht. Drei Stunden, jeden Tag! Es ist oft langweilig. Wir lernen Grammatik und machen Übungen. Am Abend muss ich Hausaufgaben machen. Meine Mitbewohner lernen auch Deutsch. Chang, mein chinesischer Mitbewohner, ist sehr fleißig. Er macht immer die Hausaufgaben. Ted, der Amerikaner, macht nie seine Hausaufgaben. Aber er hat ein iPad. Chang macht Teds Hausaufgaben, und Chang darf jeden Tag zwei Stunden das iPad benutzen. Ted sagt, das ist ein guter „Deal“.
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  11. Ich versuche, meine Hausaufgaben selbst zu machen. Aber ich habe nicht viel Zeit. Es gibt in Berlin so viele Partys. Ich denke, Partys sind gut zum Deutsch lernen. Aber ich habe ein Problem. Die Deutschen sprechen immer Englisch mit mir! Ich spreche sehr viel Englisch in Berlin. Zu viel vielleicht?Gestern habe ich Pizza gegessen. Die Pizzeria heißt „O Sole Mio“, aber niemand dort spricht Italienisch. In der Pizzeria arbeiten zwei palästinensische Brüder. Ich habe eine Thunfischpizza gegessen. Der Preis war super (zwei Euro fünfzig). Die Pizza war nicht so gut, aber die Pizzeria ist nur wenige Meter von meiner Wohnung entfernt.
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  13. 2. Multikulti
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  15. In unserer WG ist es schwierig mit dem Essen. Niemand kocht, aber wir haben immer Berge von Geschirr. Es ist ein Mysterium. Unser Kühlschrank ist wie ein Schwarzes Loch. Wenn ich etwas im Supermarkt kaufe und in den Kühlschrank lege, ist es nach zwei Stunden verschwunden.
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  17. Wir haben vier Fächer in unserem Kühlschrank. Ganz oben ist Gustavos, darunter Changs, dann Teds und dann meins.
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  19. Ted, Chang und Gustavo sagen, sie essen nur ihre eigenen Sachen. Ich sage das auch. Aber wenn mein Fach leer ist, esse ich manchmal einen Joghurt oder Käse aus Gustavos Fach.
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  21. Es ist einfacher draußen zu essen – und billiger. Es gibt viele verschiedene Restaurants. Es gibt Döner aus der Türkei, gegrilltes Lamm aus Pakistan, Berliner Buletten, die palästinensische Pizza von nebenan und vieles mehr.
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  23. Eine Berliner Spezialität ist die Currywurst. Die Currywurst hat eine interessante Geschichte. Im Jahr 1949 hatte eine Berliner Frau von britischen Soldaten Worcestershiresauce und indisches Curry bekommen. Sie hat die beiden Zutaten mit amerikanischem Ketchup vermischt und auf eine deutsche Wurst gegeben. Man sagt, die Currywurst ist typisch deutsch. Ist multikulti typisch deutsch?
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  25. Einmal war ich nach einer Party um zwei Uhr morgens Döner essen – mit Jamaal, einem syrischen Freund. Wir haben zwei Döner bestellt. Der Dönermann sagte zu Jamaal etwas auf Arabisch. Wir haben unseren Döner auf einer Parkbank gegessen. Danach fragte ich Jamaal: „Was hat der Dönermann zu dir gesagt?“
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  27. „Vorsicht, Habibi, ist Schweinefleisch drin!“, sagte Jamaal.In meinem Deutschkurs sitzen Menschen aus der ganzen Welt. Ein paar haben einen deutschen Freund oder eine deutsche Freundin. Andere wollen in Deutschland arbeiten. Aber wir haben alle das gleiche Problem: die deutsche Sprache.
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  29. 3. Ingrid
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  31. Der Kurs ist sehr langweilig. Wir arbeiten mit einem Buch, Seite für Seite, und machen alle Übungen. Von einer CD hören wir kurze Gespräche. Die Lehrerin ist eine Schlaftablette. Das Beste an meinem Deutschkurs sind die Pausen. Dann können wir Kaffee trinken und mit den anderen Studenten reden.
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  33. Wir haben seit ein paar Tagen eine neue Studentin aus Schweden. Sie ist sehr hübsch. Sie hat blonde Haare, blaue Augen und ein süßes Lächeln. Sie heißt Ingrid. Ihr Deutsch ist sehr gut. Ich weiß nicht, warum sie in unserem Kurs ist. Aber es ist gut, dass sie hier ist.
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  35. Unsere Sprachlernschule hat eine kleine Küche mit einem Wasserkocher. Es ist eine sehr kleine Küche, nur einen Quadratmeter groß. In der Pause habe ich dort mit Ingrid einen Kaffee getrunken.
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  37. „Und du? Was machst du in Berlin?“, fragte ich.
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  39. Ingrid lächelte und sagte: „Ich will in Berlin Film studieren.“
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  41. „Ah, du willst eine Schauspielerin werden, so wie Angelina Jolie!“, sagte ich.
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  43. Ingrid schüttelte ihren Kopf. „Nein“, sagte sie. „Ich will nicht vor die Kamera, sondern hinter die Kamera.“
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  45. „Ach so“, sagte ich. „Du willst ... Dirigent sein!“
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  47. Ingrid lachte und sagte. „Ja, aber auf Deutsch sagt man Regisseur. Ein Dirigent ist eine Person, die ein Orchester leitet.“
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  49. „Ah ... ja, das wusste ich ...“, sagte ich.
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  51. „Welche Filme schaust du gerne?“, fragte Ingrid.
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  53. „Ich mag Sylvester Stallone und Bruce Willis“, sagte ich.
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  55. „Ah“, sagte Ingrid.
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  57. „Hast du den Film gesehen, wo Stallone in Japan ist?“, fragte ich. „Es gibt eine Szene, wo er gegen einen Ninja kämpft ...“ Ich machte eine Bewegung mit der Hand. Aber ich hatte die Kaffeetasse vergessen. Der Kaffee flog durch die Luft und landete auf den Wänden, auf dem Fußboden und auf Ingrids weißem T-Shirt.
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  59. „Mann!“, rief Ingrid. „Ich wollte nach dem Unterricht ins Kino gehen. Jetzt muss ich erst zurück nach Hause fahren.“
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  61. „Keine Sorge“, sagte ich. „Ich habe eine gute deutsche Waschmaschine. Die macht alles sauber!“
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  63. „Wo wohnst du?“, fragte Ingrid.
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  65. „Um die Ecke“, sagte ich.
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  67. „Okay, lass uns gehen“, sagte Ingrid.
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  69. „Und der Unterricht?“, fragte ich.
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  71. „Oh Gott, es ist so langweilig“, sagte Ingrid und lächelte.
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  73. „Nichts wie raus hier!“
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  75. 4. Die Waschmaschine
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  77. Ich öffnete die Wohnungstür und rief: „Hallo? Jemand da?“
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  79. Niemand antwortete. Ingrid und ich betraten die Wohnung. Auf dem Wohnzimmertisch stand eine Armee von leeren Bierflaschen. Die Sofas waren bedeckt mit T-Shirts, Hosen und Jacken. Auf dem Fußboden lagen alte Zeitungen.
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  81. „Willkommen in meinem Reich“, sagte ich.
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  83. Ingrid nahm eine Zeitung vom Boden und sagte: „Wow, diese Zeitung ist drei Jahre alt!“
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  85. „Ja“, sagte ich. „Wir haben ein kostenloses Abonnement für die Berliner Zeitung. Aber niemand von uns hat Zeit, sie zu lesen.“
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  87. Ich nahm einen Berg Schmutzwäsche vom Sofa und sagte: „Setz dich!“
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  89. „Mit wie vielen Leuten wohnst du hier?“, fragte Ingrid und setzte sich.
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  91. „Drei“, sagte ich. „Wohnst du auch in einer WG?“
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  93. „Nein“, sagte Ingrid. „Ich wohne in einer Einzimmerwohnung. Aber ich denke, es ist schön, mit anderen Menschen zusammenzuwohnen.“
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  95. „Schön?“, sagte ich und setzte mich. „Manchmal. Aber es kann auch nervig sein. Jeden Morgen, wenn mein Mitbewohner Gustavo aufsteht, spielt er laute Heavy Metal Musik.“
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  97. „Oh“, sagte Ingrid. „Metal am Morgen, das ist wie Wodka zum Frühstück!“
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  99. Ich lachte und sagte: „Ah ja, die Waschmaschine ist in der Küche.“
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  101. Wir standen auf und gingen in die Küche. „Ignorier das Chaos, bitte!“, sagte ich. „Die Waschmaschine ist hier in der Ecke.“
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  103. Ich wischte den Staub von der Maschine und sagte: „Bitteschön!“
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  105. „Ihr wascht nicht so oft?“, fragte Ingrid.
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  107. „Wir haben nicht immer Zeit, aber die Maschine ist perfekt“, sagte ich.
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  109. „Okay“, sagte Ingrid. „Hast du Waschpulver?“
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  111. „Äh, nein“, sagte ich. „Ist Spüli okay?“
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  113. „Besser als nichts“, sagte Ingrid.
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  115. „Und jetzt?“, fragte ich.
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  117. „Schließ deine Augen“, sagte Ingrid.
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  119. Ich schloss meine Augen. Einen Moment später hörte ich die Wohnungstür. „Hallo? Jemand da?“, rief Ted.
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  121. Ich öffnete die Augen. Ingrid stand nur mit BH bekleidet in der Küche. Ted lächelte und sagte: „Mamma mia!“ Dann ging er in sein Zimmer und schloss die Tür.
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  123. „Sorry“, sagte ich. „Ist dein T-Shirt in der Maschine?“
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  125. Ingrid nickte und fragte: „Hast du etwas für mich zum Anziehen?“
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  127. „Moment“, sagte ich und ging in mein Zimmer. Ich nahm ein T-Shirt vom Boden auf, schnüffelte und legte es schnell wieder zurück. Auf einem Stuhl fand ich ein relativ frisches T-Shirt. Ich ging in die Küche und gab Ingrid das T-Shirt.
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  129. Ingrid zog das T-Shirt an. Es war lang und schwarz, mit Bildern von Totenköpfen und einer Iron Maiden Aufschrift.
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  131. „Ist das Gustavos?“, fragte Ingrid.
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  133. „Kann sein“, sagte ich. „Steht dir gut!
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  135. 5. Masken
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  137. “Gestern war ich mit Ingrid im Kino. Der Film war auf Norwegisch, mit deutschen Untertiteln. Ich habe nicht viel verstanden. Der Film handelte von einem Mann mit einer Maske. Er hat die Maske überall getragen, im Büro, im Supermarkt und sogar im Bett. Ingrid hat gesagt, die Maske symbolisiert das Ego des Mannes.
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  139. Der Film war in Schwarz-Weiß. Ich habe Ingrid gefragt, ob die Farben im Kino kaputt sind. Sie hat gelacht und gesagt: „Das ist Kunst.“
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  141. Der Film war ziemlich langweilig. Es ist nichts passiert. Aber das war egal. Ich habe Ingrid umarmt. Sie hat ihren Kopf auf meine Schulter gelegt.
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  143. Der Mann mit der Maske ist am Ende des Films in ein Loch gefallen. Ingrid hat gesagt, das Loch symbolisiert die Depression des Mannes.
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  145. Nach dem Film haben wir zusammen ein Bier in einer Bar getrunken. Ingrid hat gesagt, dass sie am nächsten Morgen nach Hamburg fährt. Sie hat gesagt, ihre Schwester wohnt dort. Ich habe sie gefragt, wie lange sie in Hamburg bleibt. Sie hat gesagt, sie weiß es nicht.
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  147. „Hast du Geschwister?“, fragte Ingrid.
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  149. „Ja“, sagte ich. „Zwei Brüder und eine Schwester.“
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  151. „Wohnen sie auch in Deutschland?“, fragte Ingrid.
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  153. „Nein“, sagte ich. „Ein Bruder lebt in Rom, einer in New York, und meine Schwester wohnt bei meiner Mutter. Sie ist noch sehr jung.“
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  155. „Ich habe nur eine Schwester. Sie studiert Philosophie in Hamburg“, sagte Ingrid. „Es ist schön, eine große Familie zu haben, oder?“
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  157. „Na ja“, sagte ich. „Hier in Berlin habe ich meine Ruhe. In Sizilien treffe ich jeden Tag meine Cousinen, Cousins, Onkel und Tanten. Sie fragen immer, wann ich heirate und wann ich beginne zu arbeiten. Sie sagen, mein Bruder in New York macht es richtig. Er arbeitet den ganzen Tag und ist jetzt reich.“
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  159. „Was macht dein Bruder?“, fragte Ingrid.
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  161. „Irgendwas mit Geld“, sagte ich. „Aber er arbeitet zu viel. Er ist immer gestresst.“
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  163. Wir haben weiter Bier getrunken und über das Leben gesprochen, bis es ein Uhr morgens war.
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  165. „Okay, ich muss gehen“, sagte Ingrid. „Sonst verpasse ich meinen Bus morgen!“
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  167. „Kann ich deine Nummer haben?“, fragte ich.
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  169. „Ich habe kein Handy“, sagte Ingrid.
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  171. „Was?“, fragte ich.
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  173. „Ich hasse Handys“, sagte Ingrid. „Aber du kannst meine Email-Adresse haben, wenn du willst.“
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  175. Sie nahm einen Stift und einen Zettel aus ihrer Handtasche, schrieb etwas und gab mir den Zettel.
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  177. Dann küsste sie mich auf die Wange, sagte:
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  179. „Arrivederci!“ und war verschwunden.
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  181. 6. Im Prinzenbad
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  183. Es ist Ende August. Es regnet viel. Aber es ist noch nicht so kalt. Heute scheint die Sonne ein bisschen. Ted hatte die Idee, schwimmen zu gehen. Aber wo?
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  185. „Strandbad Wannsee“, sagte Ted.
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  187. „Wie kommen wir dorthin?“, fragte ich.
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  189. Ted tippte etwas auf seinem Handy und sagte: „Zuerst nehmen wir den Bus M29, dann die S-Bahn S1.“
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  191. „Was ist mit dem Badeschiff?“, fragte ich.
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  193. „Ist das ein Hallenbad?“, fragte Chang.
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  195. „Nein“, sagte ich. „Das ist ein schwimmender Pool in der Spree.“
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  197. „Ein schwimmendes Schwimmbad im Fluss?“, fragte Chang. „Verstehe ich nicht.“
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  199. „Man kann nicht direkt in der Spree baden. Der Fluss ist zu schmutzig“, sagte ich.
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  201. „Und das Badeschiff ist verseucht mit Hipstern“, sagte Ted.
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  203. Chang sagte: „Oder wir fahren an die Ostsee.“
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  205. Ted lachte. „Bist du verrückt?“, fragte er.
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  207. „Warum?“, fragte ich.
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  209. Ted tippte auf seinem Handy und sagte: „Von hier bis zur Ostsee sind es mehr als drei Stunden Zugfahrt.“
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  211. „Oh, okay“, sagte Chang.
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  213. Am Ende sind Ted, Chang und ich ins Prinzenbad gegangen. Es ist ein Freibad, nur wenige Minuten entfernt.
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  215. Am Eingang stand ein Mann mit einem „Sicherheit“ T-Shirt. Er hat unsere Taschen durchsucht.
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  217. „Was suchen Sie?“, fragte Chang.
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  219. „Messer, Schlagstöcke, Pistolen?“, sagte er. Wir schüttelten den Kopf.
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  221. Dann haben wir Eintrittskarten gekauft. Vier Euro pro Person.
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  223. Das Prinzenbad ist ein interessanter Ort. Man hört hier viel Arabisch, Türkisch und Deutsch. Hier sieht man Mädchen in Bikinis neben Frauen in „Burkinis“. Gruppen von türkischen Jugendlichen spielen im Baby-Becken. Deutsche Mütter schimpfen mit ihren Kindern. Männer vom Sicherheitsservice patrouillieren. Babys schreien. Es riecht nach Chlor und Pommes.
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  225. Das Wasser hatte eine gute Temperatur. Nicht zu warm, nicht zu kalt. Das Schwimmen war schwierig. Die Kinder springen immer von der Seite ins Wasser. Der Bademeister ruft in sein Megaphon: „Nicht vom Beckenrand springen!“ Aber es interessiert die Kinder nicht.
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  227. Nach dem Schwimmen haben wir Pommes gegessen. Rot-weiß, mit Mayonnaise und Ketchup. Dann waren wir müde.
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  229. „Schön hier“, sagte Chang.
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  231. „Wannsee ist besser“, sagte Ted.
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  233. „Nächstes Mal“, sagte ich.
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  235. Dann hörten wir ein Donnern. Der Himmel wurde schwarz. Es begann zu regnen.
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  237. 7. Ohne Moos nix los
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  239. Ich habe Ingrid eine Email geschrieben. Sie hat noch nicht geantwortet. Vielleicht kann ich sie in Hamburg besuchen. Ich war noch nie in Hamburg. Es ist eine schöne Stadt, habe ich gehört.
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  241. Ich checke meine Emails jeden Tag ein paar Mal. Meistens bekomme ich nur Werbung oder Briefe von nigerianischen „Prinzen“, welche mir eine Million Dollar geben wollen.
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  243. Heute habe ich eine Email von meinem Bruder bekommen. Seine Emails sind immer sehr kurz. „Hallo Dino. Wie geht es Dir? Hier ist der Code. Liebe Grüße, Alfredo“
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  245. Der Code ist eine Art Passwort. Ich kann damit zur Post gehen, und sie geben mir Geld. Mein Bruder schickt mir jeden Monat achthundert Euro.
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  247. Es ist nicht viel, aber es ist besser als nichts. Es ist gut, dass Alfredo mir hilft. Es gibt nicht viel Arbeit in Berlin.
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  249. Jeden Tag kommen mehr Menschen aus Spanien, Amerika, England. Alle wollen in Berlin wohnen und arbeiten. Viele von ihnen sind jung und arbeiten mit Computern. Sie alle haben denselben Traum. Sie träumen von Start-ups und dem großen Geld. Aber am Ende sitzen sie nur mit ihren Laptops in Cafés und posten Party-Photos auf Facebook.
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  251. Meine Mutter weiß nicht, dass Alfredo mir Geld schickt. Sie denkt, ich arbeite für eine Bank. Mein Vater sagt immer, dass deutsche Banken sehr stark sind. Er ist sehr stolz auf mich.
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  253. Irgendwann werde ich auch Arbeit suchen. Aber zuerst muss ich Deutsch lernen. Denn ohne Deutsch kann man in Deutschland nichts machen. Ich kenne viele Amerikaner und Engländer, welche seit vielen Jahren in Berlin wohnen. Aber sie sprechen die ganze Zeit nur Englisch mit ihren Freunden und ihr Deutsch ist miserabel.
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  255. Heute bin ich zur Post gegangen. Ich habe ein Formular ausgefüllt, meinen Pass gezeigt, und dann habe ich mein Geld bekommen.
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  257. Das Leben in Berlin ist nicht so teuer. Ich bezahle dreihundert Euro im Monat für mein WG-Zimmer, zweihundert für Essen und Trinken, circa einhundert für die Monatskarte für Bus und Bahn. Es bleibt immer noch genug Geld für Partys und andere Dinge.
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  259. Alfredo sagt, er will mir helfen, bis ich einen Job gefunden habe. Niemand hat Alfredo geholfen, als er neu in New York war. Er hat die ganze Zeit gearbeitet, zuerst als Taxifahrer, dann in einer Pizzeria, dann in einer Bank und so weiter und so fort.
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  261. Jetzt hat Alfredo sehr viel Geld, aber er hat nie Zeit. Ich habe sehr viel Zeit aber nicht viel Geld.Es ist jetzt Herbst. Das Wetter ist sehr schlecht. Der Himmel ist grau. Es ist kalt und regnet die ganze Zeit.
  262.  
  263. 8. Kohle, Ratten, und Gespenster
  264.  
  265. Unsere Wohnung ist sehr alt. Wir haben keine Zentralheizung. In unserem Wohnzimmer steht ein alter Kachelofen. Das ist ein großer, brauner Klotz in der Ecke des Zimmers. Chang sagt, der Ofen ist mehr als hundert Jahre alt. Gustavo hat mir gezeigt, wie er funktioniert.
  266.  
  267. Der Kachelofen hat eine kleine Tür. Zuerst öffnet man die Tür, dann legt man ein paar Stücke Holz und ein Brikett hinein. Mit einem Feuerzeug und ein bisschen Zeitungspapier zündet man das Holz an. Wenn das Holz knistert, legt man die Kohle hinein. Nach einer Weile wird es schön warm.
  268.  
  269. Wir haben eine Tonne Kohle bestellt. Die Kohle ist im Keller. Wir wohnen im vierten Stock. Die meisten Häuser in Berlin haben keinen Aufzug. Wenn wir Kohle brauchen, gehen wir in den Keller. Der Keller ist dunkel und schmutzig. Es gibt dort Ratten. (Chang sagt, es gibt dort Gespenster von Menschen, die im zweiten Weltkrieg gestorben sind.) Aber wenn es kalt ist, brauchen wir Kohle. Wir nehmen einen alten Kartoffelsack, gehen in den Keller, füllen den Sack mit Kohle und tragen ihn in den vierten Stock.
  270.  
  271. Der Sack ist sehr schwer. Wir tragen ihn zu zweit. Außerdem macht die Kohle viel Dreck. Das Treppenhaus hat schwarze Spuren, wenn wir fertig sind. Unsere Nachbarn beschweren sich. Aber was sollen wir tun? Der Winter kommt bald. Ich habe gehört, in Berlin gibt es manchmal 30 Grad Minus.
  272.  
  273. In den Schlafzimmern haben wir keine Kachelöfen. Dort haben wir eine Gasheizung. Es ist auch nicht sehr modern, aber es funktioniert. Die Gasheizung ist ein kleiner Kasten unter dem Fenster. Man muss einen Knopf drücken, und dann gibt es ein kleines Feuer in dem Kasten. Meine Mitbewohner sagen, ich soll vorsichtig sein mit der Gasheizung.
  274.  
  275. Ich habe gefragt, ob es gefährlich ist. „Nein“, sagte Gustavo. „Ja“, sagte Ted. „Es ist gefährlich, wenn wir die Rechnung bekommen.“
  276.  
  277. „Ich verstehe nicht“, sagte ich. „Ist Gas sehr teuer in Berlin?“
  278.  
  279. „Im Mai bekommen wir die Rechnung für den Winter“. Letztes Jahr mussten wir 500 Euro zahlen!“
  280.  
  281. „Wir bezahlen nicht jeden Monat?“, fragte ich.
  282.  
  283. „Nein“, sagte Ted. „In unserer Miete ist Heizung enthalten. Aber wenn wir die Heizung sehr viel benutzen, müssen wir im Frühling extra bezahlen.“
  284.  
  285. „Kachelofen, Gasofen, Rechnungen, das ist alles sehr kompliziert“, sagte ich.
  286.  
  287. „Willkommen in Berlin“, sagte Ted.
  288.  
  289. 9. Die Dänische Dogge
  290.  
  291. In unserem Haus gibt es viele Hunde. Im ersten Stock wohnt ein Schäferhund und zwei Chihuahuas. Im zweiten Stock lebt ein Dobermann und ein Windhund. Im dritten Stock wohnen drei Huskys. Und ganz oben, im fünften Stock wohnt eine Dänische Dogge und ein Rehpinscher.
  292.  
  293. Bei uns im vierten Stock gibt es keine Hunde, aber unsere Nachbarn haben eine dicke schwarze Katze.
  294.  
  295. Heute Morgen beim Frühstück habe ich gesehen, dass die Milch leer ist.
  296.  
  297. „Wer hat die Milch leer gemacht?“, fragte ich.
  298.  
  299. Chang zuckte mit den Schultern. Ted schüttelte den Kopf. Gustavo sagte nichts.
  300.  
  301. „Gustavo?“, fragte ich.
  302.  
  303. „Okay, okay“, sagte er. „Ich war’s.“
  304.  
  305. „Ab die Post!“, sagte ich.
  306.  
  307. Gustavo verließ die Wohnung.
  308.  
  309. Fünf Minuten später hörten wir ein Geräusch. Und dann stand plötzlich die Dänische Dogge vom fünften Stock in unserer Küche.
  310.  
  311. „Wo kommt der her?“, fragte Ted.
  312.  
  313. „Keine Ahnung“, sagte Chang. „Vielleicht hat Gustavo vergessen, die Tür zu schließen.“
  314.  
  315. „Und was machen wir jetzt?“, fragte ich.
  316.  
  317. Wir bewegten uns nicht. Der Hund war höher als unser Küchentisch. Er hatte rote Augen. Aus seinem Maul tropfte Speichel auf den Fußboden. Er bewegte seinen riesigen Kopf und ging zur Spüle.
  318.  
  319. Dann begann er, unsere ungewaschenen Teller abzulecken. Er wedelte mit dem Schwanz. Seine Zunge war so groß wie eine Kinderhand.
  320.  
  321. Ted lachte und sagte: „Endlich macht jemand unsere Teller sauber!“
  322.  
  323. Als der Hund mit dem Geschirr fertig war, kam er zum Küchentisch. Er fraß ein halbes Kilo Käse, zwanzig Scheiben Salami, eine Plastikgabel und meine Serviette.
  324.  
  325. Während der Hund den Tisch abräumte, bewegten wir uns nicht. Wir hielten den Atem an.
  326.  
  327. Plötzlich rannte der Hund aus der Küche ins Wohnzimmer. Wir standen auf und folgten ihm vorsichtig. Aus sicherer Entfernung sahen wir, wie der Hund ein paar alte Socken und Zeitungen fraß. Dann wedelte er und schnüffelte an unserem Staubsauger in der Ecke.
  328.  
  329. „Nein!“, sagte Ted. „Nicht! Komm, Hundi, Hundi ...“
  330.  
  331. Aber es war zu spät. Die Dänische Dogge rammte den Staubsauger, packte den Staubsaugerbeutel und schüttelte ihn wie verrückt. Eine dunkle Staubwolke kam aus dem Beutel. Wir husteten und schlossen die Augen. Wenige Sekunden später war unser Wohnzimmer mit einer dicken Staubschicht bedeckt.
  332.  
  333. Da klingelte es an der Tür. Es war unser Nachbar vom fünften Stock. „Äh, sorry, habt ihr meinen Hund gesehen?“, fragte er.
  334.  
  335. Ich wischte den Staub von meinem Gesicht, hustete und zeigte ins Wohnzimmer. Der Hund lag auf dem Sofa und schlief.Der Winter ist hier. Es schneit den ganzen Tag. Alles ist weiß. Es ist sehr kalt. In drei Tagen fliege ich nach Sizilien zu meiner Familie. Ich vermisse das Meer, die Sonne, unser Olivenöl und den Rotwein.
  336.  
  337. 10. Auf Wiedersehen Berlin
  338.  
  339. Bald ist Weihnachten. Heute habe ich Geschenke gekauft. Mein kleiner Bruder bekommt eine DVD über die Berliner Clubszene, meinem großen Bruder aus New York gebe ich einen Berliner Aschenbecher. Für meine Schwester habe ich einen Berliner Bären gekauft. Mein Vater bekommt ein Buch über die Mauer. Für meine Mutter wollte ich ein paar deutsche Cremes besorgen.
  340.  
  341. Ich ging in eine Drogerie und nahm Nivea Creme und ein paar andere Sachen. Dann ging ich zur Kasse. Die Schlange war nicht sehr lang. Nur drei Leute. Vor mir stand eine Frau mit langen, blonden Haaren.
  342.  
  343. „Ingrid?“, fragte ich.
  344.  
  345. Sie drehte sich um, und tatsächlich, es war Ingrid!
  346.  
  347. „Oh“, sagte sie. „Hi!“
  348.  
  349. „Wie geht es dir?“, fragte ich.
  350.  
  351. „Gut“, sagte sie. „Und dir?“
  352.  
  353. „Okay. Seit wann bist du wieder in Berlin?“, fragte ich.
  354.  
  355. „Ah, äh, seit gestern“, sagte Ingrid.
  356.  
  357. „Hast du meine Emails bekommen?“, fragte ich.
  358.  
  359. „Emails?“, fragte Ingrid. „Nein.“
  360.  
  361. „Vielleicht sind sie im Spam-Filter hängengeblieben“, sagte ich.
  362.  
  363. „Vielleicht ... ja! Das muss es sein“, sagte Ingrid. „Der Spam-Filter!“
  364.  
  365. „Schön dich wiederzusehen“, sagte ich. „In drei Tagen fliege ich nach Sizilien zu meiner Familie. Vielleicht hast du vorher Zeit für einen Kaffee?“, fragte ich.
  366.  
  367. „Oh“, sagte Ingrid. „Ja! Ich würde gerne einen Kaffee mit dir trinken, aber ich fliege morgen nach Stockholm.“
  368.  
  369. „Familie besuchen?“, fragte ich.
  370.  
  371. Ingrid nickte.
  372.  
  373. Ich bezahlte meine Sachen und wir gingen nach draußen. Ein eisiger Wind blies über den Asphalt. Ich zitterte und sagte: „Mann, ist das kalt!“
  374.  
  375. „Wir sagen in Schweden, es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung“, sagte Ingrid.
  376.  
  377. „Was machst du jetzt?“, fragte ich.
  378.  
  379. „Äh ... ich ... äh“, stammelte Ingrid.
  380.  
  381. „Geschenke kaufen?“, fragte ich.
  382.  
  383. „Ja, genau! Geschenke kaufen“, sagte Ingrid. „Für Weihnachten.“
  384.  
  385. „Okay, viel Glück“, sagte ich.
  386.  
  387. „Danke“, sagte sie.
  388.  
  389. ***
  390.  
  391. Ich sitze im Flugzeug. Wir rollen auf die Startbahn. Während das Flugzeug abhebt, denke ich zurück an die letzten paar Monate. Ich habe Menschen aus aller Welt getroffen. Ich habe gelernt, wie man einen Kachelofen benutzt, wo es den besten Döner zum besten Preis gibt, und vieles mehr.
  392.  
  393. Es war eine gute Zeit. Ich weiß nicht, ob ich nach meinem Urlaub nach Berlin zurückkehren werde. Ich habe die Sprache jetzt ein bisschen gelernt. Vielleicht gehe ich nach München? Aber das Leben dort ist sehr teuer, habe ich gehört. Leipzig ist sehr trendig momentan. Oder Köln, vielleicht? Die Menschen dort sind freundlicher als in Berlin, habe ich gehört, und es ist nicht so kalt. Auch in Österreich und der Schweiz spricht man Deutsch ...
  394.  
  395. Dieses Jahr ist fast vorbei. Und wie sagt man? „Neues Jahr, neues Glück.“
  396.  
  397. Eins ist sicher. Wenn ich in Sizilien ankomme, werde ich erst einmal eine richtige Pizza essen.
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