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Das paradoxe Konzept des „geistigen Eigentums“

a guest
May 18th, 2012
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  2. Wir wollen hier schon am Anfang feststellen: es gibt so etwas wie geistiges Eigentum. Alles, was ausschließlich in meinem Geist existiert, was ich nie ausgesprochen, nie niedergeschrieben oder auf sonstige Weise veräußerlicht habe – all jenes also, das die Höhlung meines Schädelknochens nie verlassen hat, das kann ich mit Fug und Recht als mein geistiges Eigentum bezeichnen.
  3. Eines jedoch ist gewiss. Sobald ich dieses innere Gedankenkonstrukt niedergemalt, vertont, aufgeschrieben oder in bewegtes Bild umgesetzt habe - sobald es meine innere Welt verlässt - ist es nicht mehr meines; wie könnte es auch? Ich habe es dem Strom der Information übergeben, den wir unsere Welt nennen.
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  5. Der Streit um das Urheberrecht berührt ganz fundamentale Fragen der Philosophie. Anstatt über diese hinwegzutäuschen weist die griffige Wendung „geistiges Eigentum“ eher ausdrücklich darauf hin. Das Prinzip des physischen Besitzes derart Plump auf die geistige Welt, die Welt der Ideen zu übertragen, hätte dem alten Platon wohl nur ein müdes Kopfschütteln abgerungen.
  6. Etwas differenzierter muss sie also schon geschehen, unsere Betrachtung. Wir sollten uns dabei von all dem Firlefanz der Meinungen und Standpunkte nicht ablenken lassen und das Grundthema des Ganzen erkennen: der Fluss der Information.
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  8. Betrachten wir ihn in seiner ganzen Länge, die ununterbrochene Tradierung von Information auf diesem unseren Planeten. Das erste Medium der Information ist die DNS. Über Milliarden Jahre hinweg dient sie ihr als Datenträger, bis in der Dämmerung der Menschheit ein neues Medium entsteht. Die Sprache. Ein Wort ergibt das nächste, und jedes Gespräch von uns heute ist nur die Fortsetzung des ersten Gespräches, das Menschen führten.
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  10. Und abermals, in unserer Zeit, erlebt die Information einen solchen Phasensprung mit der Digitalisierung, mit der globalen Vernetzung unserer Informationsbearbeitungssysteme.
  11. Die Geschwindigkeit der Information hat sich in verschiedenen Dimensionen erhöht. Wie schnell reist ein Keim um die Welt? Wie schnell ein Wort? Und wie schnell ein Byte? Wie schnell wandelt sich ein Genom? Wie schnell wandelt sich eine Geschichte? Wie schnell das Weltnetz?
  12. Wie müssen es uns endgültig klar machen: sehen wir von Einzelwerken wie Beethoven Symphonien oder Homers Oden ab, dann ist das Internet das phantastischste Werk, dass die Menschheit in ihrer bisherigen Geschichte geschaffen hat. Es ist, als hätten wir die Ideen der Alten von einer geistigen Welt, in der alles eins ist, genommen und technisch nachgebaut. Und wir sahen, dass es gut ist.
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  14. Wie also fließt sie, die Information? Aus dem Kopf des Schöpfers heraus, welchen Weg nimmt sie? Sie wird in irgendeiner Form festgehalten, das ist ihr Weg hinaus. Für den größten Teil der Ideen die es bis in die Wirklichkeit geschafft haben, ist hier auch schon Schluss. Wenn nicht, welchen Weg wählt sie, um in andere Köpfe zu finden, verbreitet zu werden, sich in etwas zu verwandeln, was man heute ein „Mem“ nennt?
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  16. Betrachten wir den Fluss vom Schöpfer zum Konsumenten, sehen wir dass wir heute um das Internet nicht mehr herumkommen. Die Information selbst hat sich für dieses Medium entschieden, wenn man so will.
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  18. Und wieder gelangen wir zu jener Frage, die die Grundfrage unseres Jahrhunderts ist, das Paradigma dieser Hektode: Die Freiheit der Information.
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  20. Und das ist es, das vielen Verständnisprobleme bereitet bei all diesen neuen Konflikten, die mit dem Erstarken des Internets Einzug erhielten. Wer die Zusammenhänge nicht versteht könnte Phänomene wie Wikileaks, Anonymous, Pirate Bay oder kino.to und megaupload für getrennte Ereignisse halten.
  21. All dies sind jedoch die Symptome des Kampfes für den freien Fluss der Information und ich will hier behaupten, dass die Information selbst nach ihren Wesen frei sein will. Dieser ganze Konflikt ist letztlich ein Ausfluss der Hacker-Ethik, das Produkt des Nachdenkens jener Menschen, die sich zum ersten Mal ernsthaft um den globalen Fluss der Informationen Gedanken machten.
  22. Die Information muss frei sein. Diese Regel findet ihre natürliche Grenze im Schutz privater Daten. Darum ist die Forderung nach Anonymität im Netz und nach Informationsfreiheit auch kein Widerspruch. Jeder der Menschen die man heute Netzaktivisten nennt, fühlt sich verpflichtet, Daten öffentlich zu machen, die die Öffentlichkeit zu einer fundierten Meinungsbildung braucht und zugleich die privaten Daten des Individuums zu schützen vor der Sammelwut der Konzerngiganten.
  23. Ja, es tut ihnen weh, den Ferengis in den Vorständen und Gremien der Kultur-Verwertungs-Industrie, aber Information, die Geld kostet, fließt nicht frei. Das ist der Punkt wo sich diese Ethik, diese Informatik-Philosophie mit der schnöden Realität des Kapitalismus beißt.
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  25. Ja, hier sind wir, am Angelpunkt der Geschichte. Während Professoren in den Vereinigten Staaten den Clash of Civilisations herbeifabulieren, geschieht in Wirklichkeit ein Clash of Cultures mitten in unserer Gesellschaft. Das ist Dallas gegen Star Trek, das ist Picard gegen Machiavelli.
  26. Wir haben andere Lieder, andere Geschichten als ihr. Wie beben vor innerer Unruhe wenn wir daran denken, was der Menschheit möglich wäre, wenn wir diesen ganzen Jahrhunderte alten Unsinn endlich hinter uns lassen würden. Wir haben durch das Netz einen anderen Antrieb, einen andere Grundlage des gemeinsamen Vorankommens kennengelernt: Kooperation statt Konkurrenz. Wikipedia statt Stock Exchange. Wer nicht begreifen will, dass es die Aufgabe unserer Zeit ist, diese neuen Ideen nun in unserer Gesellschaft zu verwirklichen, also mit dieser Welle zu gehen anstatt uns gegen sie zu wappnen, den kann ich nur zu gut verstehen.
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  28. Ja es geht alles zu schnell. Viel zu schnell für uns Menschen. Noch vor zwei, drei Jahrhunderten starben wir praktisch in derselben Welt, in der wir geboren wurden. Seitdem beschleunigte der Wandel sich immer mehr. Schon im Leben unserer Großeltern geschahen große Umwälzungen und Entwicklungen, noch schneller ging es für unsere Eltern. Und wir haben ihn nun fast erreicht, den unvermeidlichen Punkt, der logisch gesehen irgendwann kommen muss, von dem aber niemand sagen kann, was er eigentlich ist. Der Informations-Overkill. Der Punkt, an dem die Entwicklung sich selbst einholt.
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  30. Vielleicht ist er auch nur ein Mythos. Vielleicht ist er eine Geschichte, die wir uns erzählen, ein jüngstes Gericht des Cyberspace. Ich selbst glaube, dass es so sein wird: die Welle der Information wird das auf so vielen Ebenen falsche System des Kapitalismus einfach überschwappen. Es gibt keine rationale Begründung für diesen Glauben. Ich glaube daran, weil es das ist, was ich erleben will. Diesen Wandel noch in meiner Lebenszeit. Und ich weiß, dass ich nicht der einzige bin. Und ich weiß, dass es möglich ist.
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  32. In einer Welt, in der er um seine Bedürfnisse nicht mehr bangen muss, wird der wahre Künstler seine Werke der Welt gerne frei zur Verfügung stellen. Und was für Kunstwerke wird man schaffen, befreit von Zwang sie verkaufen zu müssen. Wer sonst soll schuldsein am Niedergang der Kunst wenn nicht der Kommerz? Und welcher „Urheber“ würde, wäre die Muse erst derart ihrer kapitalistischen Fesseln befreit, noch sagen, dass früher alles besser war?
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  34. Dennoch stellen sind heute „Künstler“ auf die Seite der Verwertungsindustrie. Dieses Verhalten
  35. scheint dem Stockholm-Syndrom verwandt. Wie viel verdient ein Schriftsteller, Wie viel ein Musiker an den von ihnen produzierten Werken? Ein paar Prozent. Den Rest kassiert die Industrie. Dieselbe Industrie, die jährlich tausende von Kunstwerken dem Untergang weiht, weil sie nicht vermarktbar seien. Tatsächlich werden für jede Idee, der die Verwerter den Weg hinaus in die Welt gestatten, hunderte schon direkt nach der Geburt erdrosselt. Das verteidigt ihr, liebe Künstler, in so lächerlichen Aktionen wie „Wir-sind-die-Urheber.de“.
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  37. DIE Urheber seid ihr, also. Richtiger müsstet ihr sagen: „Wir sind die von der Kulturindustrie domestizierten Urheber. Bitte schmälert nicht die Gewinne unserer Ausbeuter.“
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  39. Noch einmal: Stemmt euch nicht gegen die Welle der freien Information. Euch wird sie Wegspülen und eure Werke wird sie mitnehmen. Kommt auf unsere Seite. Helft uns, eine Verwertung von Kunstwerken ohne Zwischenhändler möglich zu machen, ohne die Verlage und Labels, die sich als Torhüter der Kunst verstehen. Kommt mit uns in die Zukunft, oder bleibt zurück. Ihr werdet nicht vermisst werden.
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