Spiegel 2013/08 - Liquid Democrazy Die Piratenpartei befindet sich im Zustand der Auflösung. Statt endlich mit der Arbeit am Programm zu beginnen, führen die Spitzenleute einen offenen Krieg gegeneinander. Es ist zu viel, der Parteivorsitzende kann nicht mehr. „Es reicht“, sagt Bernd Schlömer, „es reicht mir wirklich.“ Der Chef der Piraten hat sich bereits viel anhören müssen. Im Netz wurde er schon als „Amokläufer“ bezeichnet oder schlicht als „Arschloch“, er ist Schmähun- gen gewohnt. Insofern verwundert es eher, dass er an diesem Februarabend auf die Kritik eines Piraten aus der Basis so unge- stüm reagiert. Der hatte sich in die virtu- elle Vorstandssitzung der Piraten einge- schaltet und erklärt, dass er Schlömer für unfähig halte. Das geht bei den Piraten normalerweise als Beitrag zur Sache durch. Aber für Schlömer ist es die eine At- tacke zu viel. Er will nicht schon wieder alles schlucken. „Ich lasse mich hier nicht öffentlich anmachen“, ruft er. „Es wird genüsslich zelebriert, wie ich als Bundes- vorsitzender diskreditiert und fertigge- macht werde.“ Er holt tief Luft. Er atmet schwer. Dann sagt er noch einmal: „Es reicht mir.“ Die Piratenpartei befindet sich im Zu- stand der Auflösung. In sieben Monaten ist Bundestagswahl, aber es müsste ein kleines Wunder geschehen, damit die Par- tei den Sprung in das Parlament schafft. Die Piraten haben sich zerschlissen, es kämpft: die Basis gegen die Spitze. Die Spitzenleute gegeneinander. Die Spitzen- leute gegen die Basis. „Die Atmosphäre ist so vergiftet, dass es kaum noch konstruktive Zusammen arbeit gibt“, sagt Udo Vetter, ein promi- nenter Listenkandidat der NRW-Piraten für die Bundestagswahl. Marina Weis- band, die Ikone der Partei, flüchtete sich Ende vergangener Woche in Galgen- humor: „Wir sind die Partei der Liquid Democrazy“, twitterte sie. Es klingt lustig. Aber es ist kein Witz. Der Abstieg der Piraten wird derzeit mit viel Häme und Schadenfreude begleitet: „Ist das Piratendasein nicht doch ein Symptom digitaler Demenz?“, hieß es in der „Frankfurter Allgemeinen“. Aber mit dem Scheitern der Piraten scheitert auch der Versuch, die Demokratie zu reformie- ren. Die Piratenpartei ist keine hasserfüll- te Splittergruppe, die sich auf der Woge eines Ressentiments den Weg ins Parla- ment gebahnt hat. Ihr Aufstieg war mit dem Versprechen verbunden, die Repu- blik freundlicher zu machen, zugänglicher für den Bürger und dessen Wünsche. Ihre Mittel dazu waren der Computer und das Netz, das sollten die Instrumente sein, um die Politik zu befreien von der Herrschaft der Hinterzimmer und Klün- gelrunden. Über das Internet kann jeder mitreden, es gleicht einer gigantischen Bürgerversammlung, und wenn sich dort die Menschen treffen, dann formt sich dort so etwas wie die Intelligenz des Schwarms. Es war eine Utopie, die vor allem junge Menschen ansprach und Bürger, die sich eigentlich schon abgewandt hatten von der Politik und ihren öden Ritualen. Als die Piratenpartei im September 2011 ins Berliner Abgeordnetenhaus einzog, holte sie fast ein Fünftel ihrer Stimmen aus dem Lager der Nichtwähler. Niemand konnte sagen, wofür die Piraten standen, aber gerade das Dilettantische machte ihren Charme aus: „Wir sind die mit den Fra- gen. Ihr seid die mit den Antworten“, die- sen Slogan druckten die Berliner Piraten auf ihre Wahlplakate. Nun aber zeigt sich, dass der Schwarm nicht weise ist, sondern böse. Die totale Transparenz des Netzes erweist sich als Fluch, nicht als Errungenschaft. Die eta- blierten Parteien mit ihren Geschäftsord- nungen mögen grau wirken, aber Form und Regeln sorgen auch für Anstand, in der Biederkeit steckt ein Stück Zivilisa- tion. Im Netz dagegen, wo sich die Pira- ten treffen, herrscht die Anarchie: Der Mensch ist dort des Menschen Wolf. Die Piraten haben es nicht geschafft, die dunkle Seite des Netzes zu zügeln, den Hass und die Verleumdung, die dort kur- sieren, im Gegenteil, sie haben sich davon anstecken lassen. Niemand hat das in letzter Zeit so zu spüren bekommen wie Bernd Schlömer. Der Parteichef ist ein Mensch mit dem Gemüt eines Bären. Die Partei hat ihn auch deswegen an ihre Spit- ze gewählt, weil er die Hoffnung weckte, dass er im Chaos und der Hysterie des Neuanfangs die Nerven behalten werde. Am Aschermittwoch stand Schlömer am Rednerpult einer halbleeren Halle in Ingolstadt. Es ist der Tag, den Parteichefs normalerweise nutzen, um derbe über die Konkurrenz herzuziehen. Schlömer nicht. Er will ein „Referat“ über Bildungs- und Baupolitik halten. Schlömer ist ein Mann der emotionalen Abrüstung. Doch selbst auf ihn prasselt ein ständiger Strom von Beleidigungen und Schmähungen ein. Die zehn Monate als Parteichef haben ihn zu einem Politi- ker am Rande des Nervenzusammen- bruchs gemacht. „Auf Twitter bin ich ein Kriegsbeamter und Sexist“, sagt Schlömer, wenn er da- von erzählt. „Man ist extremen Verlet- zungen ausgesetzt und bekommt kaum Bestätigung. Es hagelt laufend Kritik unterhalb der Gürtellinie, das allermeiste anonym.“ Als Schlömer unlängst der „Süddeutschen Zeitung“ sagte, Gleich- berechtigung für Frauen hieße „nicht nur fördern“, sondern auch „fordern“, rollte ei- ne Kritikwelle unter dem Hashtag „#sexistischekackscheiße“ über ihn. „Blubber- Bernd“ und „Söldner-Schlömer“ waren noch die freundlicheren Worte. Es gibt Satire-Accounts im Netz, die nur dazu dienen, den Parteichef zu ver- spotten. „Meine Methoden werden ob- siegen!“, schrieben Schlömer-Feinde un- ter @GroeVaz, einem Twitter-Account, der sich auf Häme über den „Größten Vorsitzenden aller Zeiten“ spezialisiert hat. Als Schlömer vergangenen Mittwoch seine Ansprache in Ingolstadt beendet hatte, twitterte ein Pirat: „Das Schönste an der Rede war, als er zurückgetreten ist, vom Mikro.“ Ein Dreivierteljahr nach dem Amts- antritt wirkt Schlömer ausgelaugt, ent- täuscht. Er verstehe nicht, warum Men- schen, die in der Öffentlichkeit als sym- pathisch gälten, bei den Piraten intern so niedergemacht würden. „Ich habe mir Politik anders vorgestellt. Friedfertiger. Ich bin nicht auf Macht aus. Ich habe kein Mandat, kein Gehalt. Ich bin auch bereit, eines Tages zu gehen. Und trotzdem wird mir vorgeworfen, ich sei machtgeil und würde nicht auf die Basis hören.“ Dabei sei er der erste Parteichef, der eine Sprech- stunde eingeführt hat, immer montags von 21 bis 22 Uhr. Schlömer kämpft nicht nur mit dem Hass im Netz, er kämpft auch mit dem Problem, dass jede neue Partei eine ma- gische Anziehungskraft auf Exzentriker hat. Das Freak-Problem der Piraten trägt den Namen Johannes Ponader. Ponader und Schlömer wurden zusam- men an die Spitze der Partei gewählt, und auf den ersten Blick wirkten sie wie ein perfektes Team. Schlömer stand für se- riöses politisches Handwerk, Ponader wiederum wollte jenes digitale Prekariat ansprechen, das die Internetcafés Berlins bevölkert und sich mit dem Laptop von Projekt zu Projekt hangelt. Ponader zele- briert seine Antibürgerlichkeit, auch seinetwegen weiß nun die Republik, was man unter einem polyamoren Lebensstil zu verstehen hat. Aber Ponader und Schlömer ergänzen sich nicht, sie bekämpften sich von An- fang an. Schlömer will die Partei profes- sionalisieren, ein Kompetenzteam für die Bundestagswahl aufstellen. Ponader wit- tert dahinter das verpönte Top-down- Prinzip, die hässliche Fratze der Hier- archie. Während Schlömer dafür trom- melt, die Außendarstellung der Partei zu verbessern, heizt Ponader Debatten über transparente Sitzungen oder Vorstands- neuwahlen an. Mahnt Schlömer zur Eile, erbittet sich Ponader Zeit für Diskussio- nen. Man könnte das noch als das Ringen um den besten Weg verstehen. Das Pro- blem ist jedoch, dass die Piraten nur Streit kennen, aber keine Versöhnung, keinen Kompromiss. Die Nerven sind inzwischen so ange- spannt, dass die obersten Piraten kaum noch miteinander kommunizieren. Am 7. Februar verschickte Ponader eine Rund- mail, in der er eine SMS des Berliner Fraktionschefs Christopher Lauer öffent- lich machte. Lauer verlangte darin in rüden Worten den Rücktritt Ponaders („Alter, wie verstrahlt bist Du denn?“). Der Eklat war so groß, dass seither auf der internen Mailingliste des Bundesvor- stands Funkstille herrscht. Ponader bereut die Aktion nicht: „Mir ist klar, dass ich damit einige Vorstands- kollegen irritiert habe. Aber wenn man in einer solchen Handlung ein systemati- sches Muster erkennt, ist es meine Pflicht, dieses öffentlich zu machen.“ Nun soll die Basis im Netz darüber Auskunft ge- ben, welche Mitglieder des Vorstands noch Vertrauen genießen. Das Ganze soll unverbindlich sein. Nur ist es bislang das Geheimnis der Partei, wie ein Spitzen- mann weiterarbeiten soll, dem die Mit- glieder per Online-Voting das Vertrauen entzogen haben. Die Piraten sind die Partei des Inter- nets, aber bisher hat digitale Kommuni- kation oft nur Chaos gestiftet. Sie haben es nicht geschafft, im Netz klare Regeln für die Debatte zu schaffen. Das räumt selbst das zuständige Vorstandsmitglied Klaus Peukert ein: „Die Partei hat sich bislang auf kein verbindliches Online- Abstimmungsverfahren geeinigt“, sagt er. „Das führt dazu, dass wir Stimmungen an der Basis oft nur als gefühlte Gemen- gelage wahrnehmen. Eine eindeutige Eva- luierung von Mehrheiten ist damit un- möglich.“ Als besonders fortschrittlich gilt vielen die Abstimmungssoftware Liquid Feed- back. Mit dem Programm wollen die Pi- raten Meinungsbilder an der Basis einho- len. Aber die Entscheidungen dort sind nicht bindend. Immer wieder kommt es vor, dass sich die Basispiraten mehrheit- lich für einen Vorstoß aussprechen, den sie dann bei realen Parteitreffen wieder kassieren. Das Wirrwarr trägt auch dazu bei, dass die Piraten bei vielen relevanten Thema nicht sprechfähig sind. Die Partei liefert häufig nur Schlag- worte, zum Beispiel in der Außen- und Sicherheitspolitik: Die Piraten wollen sich für die friedliche Lösung von Konflikten einsetzen, heißt es im Grundsatzpro- gramm. Das ist natürlich löblich. Aber was die Partei zum Krieg in Syrien denkt, weiß man trotzdem nicht genau. Die Piraten haben es nicht geschafft, die dunkle Seite des Netzes zu zügeln. Die Piraten könnten die inhaltliche Leere mit Köpfen überspielen, mit Charismatikern oder klugen Seiteneinstei- gern. Aber wer besonders ist, erntet bei den Piraten schnell Hass. Die Partei wird bestimmt vom Prinzip der grauen Maus. Das ließ sich auch bei einigen Listen- aufstellungen für die Bundestagswahl be- obachten. In Brandenburg wählten die Piraten den öffentlich völlig unbekannten Veit Göritz auf Platz 1. Die prominente Internetaktivistin Anke Domscheit-Berg bekam nur den nahezu aussichtslosen Listenplatz 2. Auch Marina Weisband hat erfahren, wie ihre Partei mit Leuten umgeht, die von der Öffentlichkeit gemocht werden. Eine Zeitlang überlegte die ehemalige politische Geschäftsführerin, ob sie in die Politik zurückkehren und für den Bun- destag kandidieren sollte. Als der SPIEGEL (45/2012) dazu einen Artikel veröffentlichte, hagelte es zuallererst Beschimpfungen aus den eigenen Reihen. Es hieß, Weisband nehme sich zu wichtig und sei eingebildet. Kurz darauf erklärte sie, dass sie in diesem Jahr nicht zur Bun- destagswahl antreten werde. Wer sie in diesen Tagen trifft, erlebt eine Frau, die erschöpft wirkt, auch von den Kämpfen in ihrer Partei. Weisband hat ein Buch geschrieben, im März soll es erscheinen. Öffentlich redet Weisband zurzeit nur über das Buch. Nicht über die Piraten. Auch aus Angst, wieder als Wichtigtuerin zu gelten. In ihrem Blog kann man nachlesen, wie Weisband die Piraten gerade sieht. Die Partei habe versprochen, die Demokratie zu reformieren. Wollten die Piraten nicht die Kraft sein, in der allein die gute Idee zählt und alle mitmachen können? Dieses Versprechen habe die Partei nicht einlö- sen können. „Wir sind zu feig“, schreibt Weisband. „Wir haben gelogen.“ SVEN BECKER, ANNETT MEIRITZ, RENÉ PFISTER, MERLIND THEILE